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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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schwarzes Haar, das sie sich wegen des
Windes aus der Stirn schiebt.
    Scarpetta holt eine Lupe aus ihrer Umhängetasche und
betrachtet die Fotos eingehend. Sie mustert die bloße Haut der Jungen und ihre
Gesichter. Dann sieht sie sich die Gesichter der Frauen und deren Haut an und
hält Ausschau nach Narben, Tätowierungen, körperlichen Missbildungen oder
Schmuck. Als sie die Linse über die schlankere Frau mit dem langen schwarzen
Haar gleiten lässt, stellt sie fest, dass sie eine ungesunde Gesichtsfarbe hat.
Vielleicht liegt es an der Beleuchtung oder an einem Selbstbräuner; jedenfalls
hat ihre Haut eine leicht gelbliche Färbung, sodass sie fast wirkt, als hätte
sie Gelbsucht.
    Scarpetta öffnet den Schrank. Darin befinden sich
billige Freizeitkleidung und Schuhe sowie elegantere Kostüme in den Größen
achtunddreißig und zweiundvierzig. Scarpetta holt alle weißen oder
eierschalfarbenen Sachen heraus und untersucht den Stoff auf gelbliche
Schweißflecken. Sie entdeckt einige unter den Achseln von Blusen Größe
achtunddreißig. Dann wendet sie sich wieder dem Foto der Frau mit dem langen
dunklen Haar und der gelblichen Haut zu und denkt an das rohe Gemüse im
Kühlschrank und an die Karotten. Und an Dr. Marilyn Seif.
    Im Schlafzimmer gibt es bis auf eine in braunes
Leder gebundene Bibel auf einem der Nachttische keine Bücher. Die Bibel ist
alt und bei den Apokryphen aufgeschlagen. Das Licht der Lampe fällt auf das
brüchige Papier, das im Laufe vieler Jahre bräunlich und spröde geworden ist.
Scarpetta setzt ihre Lesebrille auf und hält in ihrem Notizbuch fest, dass die
Bibel beim Buch der Weisheit geöffnet ist, und zwar bei Kapitel zwölf, Vers
fünfundzwanzig; dieser ist mit Bleistift mit drei kleinen x markiert.
    Darum hast du ihnen wie
unvernünftigen Kindern eine Strafe gesandt, die sie zum Gespött machte.
    Als sie Marinos Mobilfunknummer wählt, springt
sofort die Mailbox an. Scarpetta zieht die Vorhänge zurück, um festzustellen,
ob die Schiebetür dahinter verschlossen ist, während sie Marino noch einmal
anruft und eine dringende Nachricht hinterlässt. Inzwischen hat es angefangen
zu regnen, und auf dem Wasser des Pools und dem Kanal ist das Plätschern der
Tropfen zu sehen. Gewitterwolken türmen sich auf wie Ambosse, die Palmen werden
von Sturmböen geschüttelt, und an den niedrigen Hibiskushecken zu beiden
Seiten der Schiebetür sträuben sich die rosafarbenen und roten Blüten im Wind.
Scarpetta bemerkt zwei Schmierer auf der Scheibe, deren unverkennbare Form ihr
sofort ins Auge sticht. Sie trifft Reba und Lex in der Waschküche an, wo sie
gerade das Innere von Waschmaschine und Trockner überprüfen.
    „Im Schlafzimmer liegt eine Bibel“, verkündet
Scarpetta. „Sie ist bei den Apokryphen aufgeschlagen, und die Nachttischlampe
brennt.“
    Reba scheint nicht ganz zu verstehen.
    „Meine Frage ist, ob es im Schlafzimmer genau so
aussah, als die Dame von der Kirche das Haus betreten hat. Wurde dort seit
Ihrem ersten Besuch irgendetwas verändert?“
    „Als ich ins Schlafzimmer ging, wirkte alles ganz
normal. Ich erinnere mich, dass die Vorhänge geschlossen waren. Eine Bibel oder
so was habe ich nicht gesehen. Und soweit ich mich erinnere, brannte auch kein
Licht“, erwidert Reba.
    „Da steht ein Foto mit
zwei Frauen. Ev und Kristin?“
    „Das sagt die Dame von der
Kirche.“
    „Und das auf dem anderen
Foto sind Tony und David?“
    „Ich glaube schon.“
    „Leidet eine der Frauen an einer Essstörung? Ist sie
krank? Wissen wir, ob eine der Schwestern in ärztlicher Behandlung ist? Und wer
ist wer auf dem Foto?“
    Reba kann das alles nicht beantworten. Bis jetzt ist
es ihr auch nicht wichtig erschienen, diesen Fragen nachzugehen. Kein Mensch
hätte gedacht, dass sich jemand dafür interessieren könnte, so wie Scarpetta
jetzt.
    „Haben Sie oder sonst jemand die Schiebetür in dem
grünen Schlafzimmer geöffnet?“
    „Nein.“
    „Sie ist nicht abgeschlossen, und ich habe auf der
Außenseite der Scheibe Schmierer bemerkt. Ohrabdrücke. Waren die, als Sie sich
am vergangenen Freitag hier umgeschaut haben, auch schon da?“
    „Ohrabdrücke?“
    „Zwei, und zwar von einem rechten menschlichen Ohr“,
entgegnet Scarpetta. In diesem Moment läutet ihr Telefon.
     
    30
     
    Es regnet heftig, als sie vor Mrs. Simisters Haus
hält. Dort stehen bereits drei Polizeifahrzeuge und ein Krankenwagen.
    Scarpetta steigt aus und spart sich den Regenschirm,
während sie ein Telefonat mit dem

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