Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
gibt eine Prise Silk-Black-Oxidpulver auf ein
Blatt Papier. Die weiße Arbeitsfläche ist zwar rissig, aber sauber und
freigeräumt. Sie taucht einen Pinsel aus Fiberglas in das Pulver auf dem Papier
und beginnt geduldig, das Pulver auf dem Resopal zu verteilen, sodass die
Oberfläche dort, wo das Pulver an Fetten oder anderen unsichtbaren Resten
haften bleibt, eine unregelmäßige fleckig-schwarze Färbung annimmt.
    „Ich habe weder eine Geldbörse noch eine Handtasche
oder sonst irgendwas gefunden“, sagt Reba zu Scarpetta. „Und das bestärkt mich
in dem Verdacht, dass sie abgehauen sind.“
    „Manchmal hat man auch bei einer Entführung die
Möglichkeit, die Handtasche mitzunehmen“, gibt Scarpetta zurück. „Menschen
werden mit ihren Brieftaschen, ihren Schlüsseln, ihren Autos und ihren Kindern
gekidnappt. Vor ein paar Jahren hatte ich mit einem ermordeten Entführungsopfer
zu tun, das zuvor sogar noch einen Koffer packen durfte.“
    „Ich kenne aber auch viele Fälle, bei denen alles so
hingebogen wurde, dass es nach einem Verbrechen aussieht, obwohl sich die
Leute in Wirklichkeit nur aus dem Staub gemacht hatten. Vielleicht kam der
seltsame Anruf von einem Spinner aus ihrer Kirchengemeinde.“
    Scarpetta geht in die Küche und mustert den Herd.
Auf einer der hinteren Platten steht eine Kupferpfanne mit Deckel. Das Metall
ist grau angelaufen und schlierig.
    „Steht die Pfanne noch dort, wo sie gefunden
wurde?“, erkundigt sie sich und hebt den Deckel ab.
    Auch das aus Edelstahl bestehende Innere der Pfanne
ist dunkelgrau verfärbt.
    Lex zieht mit einem lauten Ratsch Klebeband ab.
    „Als die Dame aus der Kirche ankam, war die linke
hintere Platte auf niedrigster Stufe eingeschaltet. Die Pfanne war leer und
glühend heiß“, antwortet Reba. „So wurde es mir wenigstens beschrieben.“
    Scarpetta entdeckt einen Hauch feiner
weißlich-grauer Asche in der Pfanne.
    „Vielleicht war ja ursprünglich etwas darin.
Speiseöl zum Beispiel. Kein Essen. Lagen auf der Anrichte keine Lebensmittel?“,
will sie wissen.
    „Als ich hier eintraf, sah es genauso aus wie jetzt.
Und die Dame von der Kirche sagte, sie hätte keine Lebensmittel bemerkt.“
    „Ein paar Rillen, aber zum Großteil verschmiert“,
verkündet Lex und zieht ein paar Zentimeter Klebeband von der Arbeitsfläche.
„Mit den Schränken plage ich mich lieber gar nicht erst ab. Auf dem Holz ist
wahrscheinlich sowieso nichts hängen geblieben. Es wäre nichts als Verschwendung,
es sinnlos zu ruinieren.“
    Als Scarpetta den Kühlschrank öffnet, schlägt ihr
eisige Luft entgegen. Sie untersucht ein Fach nach dem anderen. Die Reste
kalter Truthahnbrust weisen darauf hin, dass zumindest ein Mitglied des
Haushalts kein Vegetarier ist. Weiterhin entdeckt sie Kopfsalat, frischen
Brokkoli, Spinat, Sellerie und Karotten, Unmengen von Karotten, gleich neunzehn
Beutel voll, und zwar die kleinen, vorgeschälten, der kalorienarme Imbiss für
zwischendurch.
     
    Die gläserne Schiebetür zu Mrs. Simisters Veranda
ist nicht abgeschlossen. Marino wartet draußen auf dem Rasen und blickt sich
um.
    Er betrachtet das orangefarbene Haus auf der anderen
Seite des Kanals und fragt sich, ob Scarpetta bereits etwas gefunden hat.
Vielleicht ist sie ja schon wieder weg. Er ist zu spät dran, denn es hat eine
Weile gedauert, das Motorrad auf einen Anhänger zu hieven, zum Hangar zu
schaffen und den Reifen zu wechseln. Noch mehr Zeit hat er damit verbracht,
mit den anderen Mechanikern und einigen Lehrgangsteilnehmern sowie mit den
Dozenten zu sprechen, deren Autos ebenfalls auf dem Parkplatz standen, immer in
der Hoffnung, dass jemand etwas beobachtet haben könnte. Aber nein. Zumindest
behaupten das alle.
    Marino öffnet Mrs. Simisters Schiebetür ein Stück
weit und ruft nach ihr.
    Keine Antwort. Er klopft kräftig gegen die Scheibe.
    „Ist jemand zu Hause?“, fragt er laut. „Hallo?“
    Wieder greift er zum Telefon. Immer noch besetzt. Er
stellt fest, dass Scarpetta vor einer Weile seine Nummer gewählt hat,
vermutlich als er gerade auf dem Motorrad hierher gefahren ist. Er ruft sie
zurück.
    „Was tut sich so bei dir?“, erkundigt er sich ohne
Begrüßung.
    „Reba sagt, sie hätte noch nie von einer Mrs.
Simister gehört.“
    „Irgendjemand will uns hier verarschen“, erwidert
er. „Sie gehört auch nicht zu derselben Kirchengemeinde wie die Vermissten.
Außerdem macht sie die Tür nicht auf. Ich gehe jetzt rein.“
    Er schaut zurück zu dem orangefarbenen Haus

Weitere Kostenlose Bücher