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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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„Es ist immer
dasselbe. Ich habe plötzlich einen dringenden Fall, er hat plötzlich einen
dringenden Fall. Die Arbeit bestimmt unser Leben.“
    „Was hat er für einen Fall?“
    „Eine weibliche Leiche wurde in der Nähe des Waiden
Pond gefunden, nackt und mit bizarren falschen Tätowierungen am ganzen Körper,
die meiner Vermutung nach erst nach dem Mord angebracht wurden. Rote
Handabdrücke.“
    Lucy umfasst das Lenkrad fester.
    „Was meinst du mit falschen Tätowierungen?“
    „Aufgemalt. In Bentons Worten Körperkunst. Eine
Kapuze über dem Kopf, eine Geschosshülse im Rektum, demütigende Pose und so
weiter und so fort. Mehr weiß ich noch nicht, aber das wird sich sicher bald
ändern.“
    „Kennt man ihren Namen?“
    „Bis jetzt tappen sie noch im Dunkeln.“
    „Hat es in der Gegend ähnliche Fälle gegeben?
Vergleichbare Morde? Mit roten Handabdrücken?“
    „Ich lasse mich nicht von dir ablenken, Lucy. Du
hast dich verändert. Außerdem hast du zugenommen, und das bedeutet, dass da
etwas ganz und gar nicht stimmt. Das soll nicht heißen, dass du schlecht
aussiehst, wirklich nicht, aber ich kenne dich. Du bist häufig müde, und du
wirkst erschöpft. Bis jetzt habe ich geschwiegen, aber ich vermute schon seit
einer Weile, dass es da ein Problem gibt. Willst du mir nicht verraten, was los
ist?“
    „Ich muss mehr über die Handabdrücke erfahren.“
    „Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß. Warum?“
Scarpetta mustert eindringlich Lucys besorgte Miene. „Was ist los mit dir?“
    Lucy starrt geradeaus und versucht, sich eine
passende Antwort zurechtzulegen. Darin ist sie gut. Schließlich ist sie klug
und schlagfertig und besitzt die Fähigkeit, Informationen so lange
umzusortieren, bis sich das von ihr zusammengesponnene Märchen echter anhört
als die Wahrheit. Kaum jemand zweifelt das Ergebnis je an oder stellt es in
Frage. Lucys Rettung ist, dass sie ihre frei erfundenen Geschichten nicht
selbst glaubt, niemals die Fakten verwechselt und deshalb auch nicht in ihre
eigene Falle tappt. Sie hat stets einen vernünftigen Grund für ihr Verhalten,
und manchmal ist dieser sogar nachvollziehbar.
    „Bestimmt hast du Hunger“, sagt Scarpetta in ruhigem
und sanftem Ton, so wie damals, als Lucy ein unartiges Mädchen gewesen ist, das
so viele Kränkungen erlebt hatte, dass es nur noch um sich schlug.
    „Wenn dir nichts mehr einfällt, fütterst du mich“,
erwidert Lucy niedergeschlagen.
    „Früher hat es geklappt. Als du ein kleines Mädchen
warst, habe ich es fast immer geschafft, dich mit einer selbst gemachten Pizza
zu bestechen.“
    Lucy schweigt. Ihr Gesicht wirkt im roten Schein der
Verkehrsampel finster und fremd.
    „Lucy? Kannst du heute Abend nicht wenigstens einmal
lächeln und mich ansehen?“
    „Ich habe Dummheiten gemacht. Affären. Menschen
verletzt. Erst letzte Nacht in Provincetown habe ich es wieder getan. Ich will
niemanden an mich heranlassen. Ich brauche meine Ruhe. Offenbar kann ich nichts
dagegen tun. Und diesmal habe ich mich vielleicht wirklich reingeritten. Weil
ich nicht aufgepasst habe. Möglicherweise liegt es daran, dass mir inzwischen
alles scheißegal ist.“
    „Ich wusste gar nicht, dass du in Provincetown
warst“, stellt Scarpetta sachlich fest.
    Es sind nicht Lucys sexuelle Neigungen, die sie
stören.
    „Du warst doch immer so vorsichtig“, sagt Scarpetta.
„Vorsichtiger als alle, die ich kenne.“
    „Tante Kay, ich bin krank.“
     
    37
     
    Die schwarze Spinne bedeckt den Rücken seiner Hand,
die auf sie zugeschwebt kommt und, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht
entfernt, durch den Lichtstrahl gleitet. Noch nie hat er die Spinne so nah an
sie herangehalten. Er hat eine Schere auf die Matratze gelegt und leuchtet sie
kurz mit der Taschenlampe an.
    „Sag, dass es dir Leid tut“, wiederholt er. „Dass
alles nur deine Schuld ist.“
    „Lassen Sie ab von Ihren Sünden, bevor es zu spät
ist“, erwidert Ev. Die Schere liegt in ihrer Reichweite.
    Vielleicht will er sie verleiten, danach zu greifen.
Selbst im Lichtschein der Lampe kann sie sie kaum sehen. Sie lauscht nach
Geräuschen von Kristin und den Jungen. Die Spinne dicht vor ihrem Gesicht nimmt
sie nur verschwommen wahr.
    „Das alles wäre ohne dein Zutun nie passiert. Und
jetzt kommt die Strafe.“
    „Alles kann ungeschehen gemacht werden“, antwortet
sie.
    „Zeit für die Strafe. Sag, dass es dir Leid tut.“
    Ihr Herz klopft, und fast übergibt sie sich vor
lauter Angst. Sie wird sich

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