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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
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schuld an ihrer Situation. Immer hatte sie die Nase zu hoch in die Luft gestreckt. Nun konnte man sehen, was sie davon hatte. Hochmut kam eben doch vor dem Fall. Und an der Krankheit von Lorentz war Frieda auch schuld. Kein Wunder, so wie sie ihn immer bewacht hatte, da musste er ja über kurz oder lang durchdrehen. Alzheimer war doch nur vorgeschoben. Nicht ganz dicht im Kopf war er, das hatte man ja schon früher gemerkt.
    Hanna hatte Frieda schonungslos alles erzählt, als sie beharrlich darauf bestanden hatte. Doch als Hanna fertig gewesen war, hatte sie dann doch heulen müssen. Hanna hatte sie in den Arm genommen und gesagt:
    »Mach dir nichts draus. Ist doch alles nur Geschwätz, was die Alte von sich gibt.«
    Aber getröstet hatte es sie nicht.
    Am liebsten würde Frieda gar nicht mehr bei Helene einkaufen. Ein Zentner Steine drückte ihr auf den Magen, wenn sie den Laden betrat. Aber sie hatte kaum eine Alternative. Zum Supermarkt war es zu weit zum Laufen und mit dem Fahrrad traute sie sich das nicht mehr zu. Fritz nahm sie hin und wieder mit, wenn er Besorgungen für den Gasthof zu erledigen hatte. Aber für die alltäglichen Kleinigkeiten blieb ihr nur der Sparladen.
    Heute wollte sie Lorentz eine Freude machen und ihm seine Lieblingspralinen mitbringen. Gefüllte Marzipankugeln. Oft konnte sie sich das nicht erlauben. Das Geld, das ihr nach Abzug der Heimkosten blieb, reichte kaum zum Leben. Aber nach dem missglückten Versuch mit dem Familienalbum hoffte Frieda, zumindest seine geschmacklichen Erinnerungen wecken zu können. Mit der Schachtel ging sie zur Kasse. Helene tratschte immer noch. Auch als Frieda die Pralinen auf das Laufband der Kasse legte, ließ sie sich nicht unterbrechen.
    »Und dann hat er gestern hier im Laden gleich zwei Flaschen Korn gekauft. Den Guten natürlich. Wenn der man nicht auch Alkoholiker ist wie sein Onkel. Kann man sich ja an drei Fingern abzählen, dass das damals auf den Jungen abgefärbt haben muss. Jeden Abend ist doch der Hannes betrunken nach Hause getorkelt. Hat Max ja selbst gesehen. Und Max hat auch erzählt, dass der Tom wohl in seiner Kneipe war und den Haie ausgefragt hat. Grad den Haie, kennst ihn ja. Wie das so gewesen sei damals und so, soll er gefragt haben. Der soll sich bloß in Acht nehmen. Is’ nicht gut, wenn man seine Nase in Angelegenheiten steckt, die einen nichts angehen.«
    Frieda räusperte sich. Helene blickte sie freudestrahlend an.
    »Frieda, schön dass du auch mal wieder reinschaust! Na, Pralinen für Lorentz? Schön, willst du ihm eine Freude machen? Isst er ja so gerne, nicht wahr? Soll ich dir die Schachtel einpacken?«
    Frieda schüttelte den Kopf. Sie wollte nur so schnell wie möglich bezahlen und dann raus hier. Aber Helene hatte es nicht eilig mit dem Abkassieren.
    »Und wie geht es ihm denn?«, fragte sie neugierig.
    »Gut«, log Frieda und hoffte, dass damit Helenes Neugier befriedigt war. Das war aber ganz und gar nicht der Fall.
    »Hab gehört, er soll sich an immer weniger erinnern können. Ist schlimm, wenn er einen nicht mehr erkennt, was?«, bohrte sie weiter.
    Frieda hätte der anderen gerne ins Gesicht gesagt, dass sie ein altes Tratschweib war und lieber vor ihrer eigenen Haustür fegen sollte. Trieb es nicht Helenes Sohn jede Woche mit einer anderen auf der Rückbank seines Opels, während seine Frau zu Hause saß und die drei Kinder hütete? Und Helenes Mann? War doch selbst jahrelang tablettensüchtig gewesen. Bis sie ihn zum Entzug geschickt hatten. Seitdem galt er zwar als geheilt, aber Frieda wusste von Karen, ihrer Schwägerin, die bei Dr. Seidel arbeitete, dass er regelmäßig Medikamente verschrieben bekam.
    Sie legte das abgezählte Geld vor Helene auf das Band, nahm die Pralinen und ging, ohne sich zu verabschieden. ›Falsche Schlange‹ murmelte sie vor sich hin, als sie draußen stand und durch die gläserne Tür zurück in den Laden blickte. Helene war schon in das nächste Gespräch vertieft und sah nicht, dass Frieda ihr einen Vogel zeigte.

     
    Tom war früh dran, aber das störte ihn nicht. Er parkte seinen Wagen hinter der Schule und stieg aus.
    Seit die Papierfabrik in Flensburg geschlossen worden war, arbeitete Haie hier als Hausmeister. Der Haupteingang war verschlossen. Durch die hohen Fenster schaute Tom in die Klassenzimmer. Hier schien sich nichts verändert zu haben. Die kleinen Holzstühle vor den Schulbänken. An den Wänden Bilder der Schüler mit Sommermotiven. Er erinnerte sich noch gut

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