Deichgrab
Polizei!‹ Plötzlich wurde ihm bewusst, wieviel Wahrheit in diesem Spruch steckte.
Als er die Tür öffnete, stand ein dunkelhaariger Mann im Anzug vor ihm. Ganz offensichtlich war das niemand von der Entsorgungsfirma. In der linken Hand hielt der Mann einen schwarzen Lederkoffer, die rechte streckte er Tom entgegen.
»Mein Name ist Lukas Crutschinow.«
Tom blickte den Mann fragend an.
»Herr Schmidt hat mich informiert, dass dieses Haus zum Verkauf steht. Ich wäre interessiert daran!«
Das war also der Interessent, von dem Herr Schmidt gestern gesprochen hatte. Er sprach mit einem russischen Akzent, die Wörter leicht abgehackt.
›Der hat es aber sehr eilig‹, dachte Tom. Ihm war die ganze Situation etwas unangenehm. Hineinbitten mochte er ihn nicht. Es musste ja nicht gleich jeder wissen, dass hier eingebrochen worden war. Außerdem wirkte der Mann irgendwie seltsam. Tom wusste nicht so recht, was er sagen sollte.
»Das ging aber schnell. Aber momentan ist eine Hausbesichtigung etwas ungünstig.« Er dachte an das Chaos im Haus. »Vielleicht können wir einen Termin für einen der nächsten Tage ...?«
»Am Haus bin ich nicht so sehr interessiert«, fiel Herr Crutschinow ihm ins Wort, »aber wenn ich vielleicht den Garten sehen könnte?«
Tom war überrascht. Er wollte das Haus gar nicht sehen? Nur den Garten?
»Nur den Garten?«
Der Mann nickte.
Tom führte ihn um das Haus herum. Herr Crutschinow schritt die Grenze der Gartenfläche ab. Unentwegt murmelte er dabei vor sich hin, scheinbar zählte er die Schritte. Tom beobachtete ihn von der Veranda aus. Nach einer Weile war er fertig, kam auf ihn zu und sagte:
»Okay, ich kaufe.«
Tom war sprachlos.
»Ja, wollen Sie denn nicht noch das Haus ansehen?«
Wer wollte schon ein Haus kaufen, ohne es vorher angeschaut zu haben?
»Nicht nötig.«
Herr Crutschinow lächelte ihn an. Tom wusste gar nicht, was er sagen sollte. Er hatte sich ja noch nicht mal Gedanken darüber gemacht, wie viel das Haus wohl wert sein könnte.
»Was soll das Haus kosten?«
Das ging Tom nun wirklich alles zu schnell.
»Ich denke, wir vereinbaren in den nächsten Tagen einfach einen Termin mit Herrn Schmidt. Bis dahin habe ich auch die Unterlagen vom Haus herausgesucht und Sie können es sich in aller Ruhe noch einmal anschauen.«
»Ich habe aber wenig Zeit«, antwortete Herr Crutschinow leicht mürrisch. »Ich brauche keine Unterlagen. Ich nehme das Haus, so wie es ist. Brauche keine Zeit zum Überlegen.«
»Aber ich.«
»Ich reise bald wieder ab«, versuchte Herr Crutschinow Tom unter Druck zu setzen.
»Ich melde mich dann.«
Er reichte dem Mann zum Abschied die Hand und beobachtete von der Haustür aus, wie Herr Crutschinow zu seinem Wagen ging. An seinem Gang konnte man deutlich erkennen, dass er verärgert war. Forsch stapfte er mit seinen kurzen Beinen den schmalen Gartenweg hinunter, öffnete die Tür seines dunklen Mercedes, warf seinen Koffer auf die Rückbank und startete den Motor. Dann war er weg.
Kurze Zeit später klingelte es erneut. Diesmal bestätigte sich der Spruch, dass die Entsorgungsfirma schneller war als die Polizei. Groß und rot war der Container, den der Mann im Blaumann von seinem LKW ablud und im Vorgarten platzierte. Tom unterschrieb die Empfangsquittung und betrachtete den Container. Der dürfte groß genug sein.
12
Als Frieda den Sparladen betrat, sah sie Helene, die alte Ladenbesitzerin, an der Kasse mit einer Kundin plaudern. Das war für Frieda nichts Neues. Helene war für ihren Klatsch und Tratsch im ganzen Dorf bekannt. Fast jeder, der den Laden besuchte, kam immer auch ein klein wenig deshalb. Wusste Helene doch immer zu berichten, wer mit wem und wo oder wer wie was. Meist stimmte nicht mal die Hälfte von dem, was Helene erzählte, aber wer wusste das schon so genau? Und was die meisten auch nicht wussten, war, dass wenn sie kaum einen Schritt vor die Tür des Ladens gesetzt hatten, sie selbst zum Gesprächsstoff des nächsten Gerüchtes wurden.
Frieda wusste das. Hatte Hanna ihr doch unlängst erzählt, wie Helene, kaum dass Frieda den Laden verlassen hatte, sich das Maul über sie zerriss. Hanna hatte es selbst gehört, als sie hinter dem Regal mit den Toilettenartikeln gestanden und nach Taschentüchern gesucht hatte. Frieda hatte es eilig an dem Tag gehabt, nur kurz einen Liter Milch gekauft. Doch kaum sei sie aus der Tür getreten, so hatte Hanna berichtet, hatte Helene so richtig losgelegt. Frieda wäre selbst
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