Deichgrab
Pfeife ziehen, bis endlich der Tabak glimmte und ein feiner, weißer Rauch aus der Öffnung strömte. Er ging zum kleinen Eichensekretär, in dem er in der untersten Schublade eine Flasche Korn vor Meike versteckt hielt. Er nahm einen kräftigen Schluck.
Dann ging er zurück zum Telefon und wählte erneut. Nach scheinbar endlosem Klingeln wurde endlich abgehoben.
»Klaus, ich bin es, Broder. Ich habe nun fast alle Notare und Anwälte angerufen. Jedoch ohne Erfolg. Wie sieht es bei dir aus?«
»Ich habe heute noch gar keine Zeit zum Telefonieren gefunden. Es ist ja Samstag und Marita ist auch zu h ause.«
»Soll ich etwa wieder die ganze Suppe alleine auslöffeln. Sieh zu, dass du den Notar findest«, brüllte Broders. »Weißt du, was los ist, wenn jemand die Unterlagen findet?«
»Als wenn das alles nur meine Angelegenheit wäre! Du hängst ja wohl noch tiefer drin als ich!«
»Wir müssen uns sehen! Morgen um sechs Uhr im ›Deichgrafen‹!«
Ehe Klaus etwas erwidern konnte, legte er schnell auf.
Er ging ans Fenster und sah hinunter auf den kleinen Vorplatz. Meikes Golf stand nicht da, sicherlich war sie einkaufen gefahren. Franks Wagen war neben dem Blumenrondell auf der Auffahrt zu sehen. Broder nahm seinen Stock und ging hinüber ins Wohnzimmer der beiden.
»Frank?«, rief er zögerlich, als er den Raum betrat. Auf dem Couchtisch lagen immer noch die Zigaretten und die Streichhölzer. Broder nahm die Streichholzschachtel und betrachtete die Aufschrift: ›Sunny Place‹. Er legte die Schachtel zurück auf den Tisch, ging in die Küche.
Der Frühstückstisch war noch nicht abgedeckt. Der Wurstaufschnitt hatte an einigen Ecken bereits eine dunkle Färbung bekommen und wellte sich leicht. In einer der Tassen schwamm eine Fliegenleiche in einer Kaffeepfütze.
Broder ließ sich auf die Eckbank fallen. Ein kleiner, schwarzer Ordner lag auf der Bank neben ihm. Broder schlug ihn auf. Es waren die Kontoauszüge vom Betriebskonto. Saldo: 43.978,65 DM im Soll. Ihm stockte der Atem. Umständlich nestelte er an seinem Hemdskragen. Er blätterte weiter und spürte Wut in sich aufsteigen.
Lieber Großvater,
heute war mein erster Tag in der neuen Schule. Onkel Hannes hat mich hier im Dorf in der Grundschule angemeldet. Die großen Ferien sind vorbei und deshalb musste ich heute Morgen noch früher aufstehen als sonst. Ich war schrecklich müde, da ich vor Aufregung kaum geschlafen hatte. Aber der ›Ernst des Lebens‹ rief nach mir, wie du immer sagst.
Der Weg zur Schule ist nicht weit. Ich brauche ungefähr zwanzig Minuten zu Fuß. Mit dem Fahrrad wäre ich natürlich schneller, aber das habe ich ja bei dir gelassen, wie du weißt. Onkel Hannes hat mir gestern eine Abkürzung durch den kleinen Koog gezeigt. Ich glaube aber, dass er mir den Weg nur gezeigt hat, damit ich wieder schnell zu Hause bin, um meine Aufgaben zu erledigen.
Der Weg durch den Koog ist sehr schön. Man kommt an einer Wehle vorbei, und überall wachsen Kuckucksblumen und Löwenzahn. Ich wünschte, du könntest mich mal besuchen, dann würde ich dir alles zeigen.
In der Schule ist es leider nicht so schön. Die Lehrer sind zwar nett, aber als ich der Klasse vorgestellt wurde, haben einige Kinder gleich angefangen zu tuscheln. Das war schrecklich. Der Lehrer hat gefragt, wo noch ein Platz frei sei, aber keiner der Schüler hat sich gemeldet, obwohl noch etliche Plätze leer waren. Der Lehrer hat ziemlich lange darauf gewartet, dass sich jemand meldet. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Da sich keiner gemeldet hat, musste ich mich dann zu Lars Rickmers setzen. Das habe ich auch getan, aber der Lars war richtig komisch zu mir. Ich hatte aber keine Zeit, etwas zu sagen, da der Lehrer sofort mit dem Unterricht angefangen hat.
Den Unterricht finde ich einfach. Einiges hatten wir schon in meiner alten Schule. In der Pause hat auch keines der Kinder mit mir gesprochen. Alle haben in kleinen Gruppen zusammengestanden und getuschelt. In meinem Schulranzen habe ich einen Apfel und sogar ein Käsebrot gefunden. Das musste Onkel Hannes mir hineingelegt haben. Eigentlich ist er ganz nett.
Als die Schule aus war, bin ich schnell nach Hause gelaufen. Keines der Kinder hat etwas gesagt, obwohl einige mit mir bis zur Abzweigung in den kleinen Koog denselben Weg hatten. Hoffentlich wird das mit der Zeit besser. Hoffentlich finde ich bald Freunde.
Ich sitze hier am Küchentisch. Meine Hausaufgaben habe ich schon fertig. Nun muss ich noch schnell die
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