Dein Auftritt Prinzessin
Hormonhaushalt? Es heißt doch immer, Schlafentzug löst
Halluzinationen aus. Ich hab mal von einem DJ gehört, der elf Tage und Nächte wach geblieben ist (das ist die längste jemals gemessene Zeit, die es ein Mensch ohne Schlaf ausgehalten hat), und der hat zum Schluss nur noch Phil Collins aufgelegt, woran die Leute um ihn rum merkten, dass es höchste Zeit war, den Krankenwagen zu rufen.
Blöderweise fühle ich mich trotz der fünfzehn Stunden Schlaf immer noch ein bisschen wie eine talentlose Versagerin. Aber wenigstens empfinde ich das heute nicht mehr als Riesentragödie. Ich glaub, der Schlafmarathon hat meine Sicht der Dinge ein bisschen relativiert. Es kann nun mal nicht jeder ein Superhirn wie Lilly und Michael sein oder ein Geigenvirtuose wie Boris. Irgendetwas wird es schon geben, worin ich gut bin - ich muss nur herausfinden, was es ist. Als ich vorhin beim Frühstück Mr G danach fragte, sagte er, ich hätte manchmal einen sehr fantasievollen Kleidungstil.
Aber das kann Lilly nicht gemeint haben, als sie von meinem versteckten Talent sprach, weil ich da ja meine Schuluniform anhatte, die kaum Raum für kreative Ausdrucksmöglichkeiten bietet.
Mr Gs Bemerkung hat mich wieder daran erinnert, dass meine Königin-Amidala-Unterhose noch immer verschollen ist. Wobei ich mich natürlich hüten werde, meinen Stiefvater danach zu fragen. Urgh! Ich schau jedes Mal diskret weg, wenn seine Unterhosen gefaltet von der Wäscherei kommen, und er erweist mir zum Glück dieselbe Gefälligkeit.
Mom konnte ich auch nicht danach fragen, weil sie heute Morgen wieder mal wie bewusstlos im Bett lag. Anscheinend ist das Schlafbedürfnis von Schwangeren genauso hoch wie das von Jugendlichen und DJs.
Vor Freitag muss ich die Unterhose UNBEDINGT finden, sonst wird mein erstes Date mit Michael die volle Katastrophe,
das weiß ich genau. Ich seh schon vor mir, wie er sein Geschenk auspackt und sagt: »Äh … hm, es ist ja nett gemeint...« Hätte ich mich doch an Mrs Hakim Babas Tipps halten und ihm einen Pulli besorgen sollen?
Nein, Michael ist eindeutig kein Pulli-Typ. Das hab ich vorhin, als wir ihn und Lilly zur Schule abholten, wieder ganz deutlich gemerkt. Er sah sehr groß, männlich und Heath-Ledger-mäßig aus (nur dunkelhaarig), wie er da vor dem Haus wartete, und sein Schal flatterte im Wind, sodass ich seinen Hals sehen konnte. Den Adamsapfel und das Stück kurz über dem Hemdkragen, also diese empfindliche Stelle, von der mir Lars mal gesagt hat, ein einziger wohl platzierter Schlag mit der Handkante dorthin reiche schon aus, um einen Mann außer Gefecht zu setzen. Michaels Hals sah so hübsch aus, so glatt und sanft gebogen, dass ich sofort an Mr Rochester denken musste, wie er auf seinem Pferd dahinprescht und über seine große Liebe Jane nachgrübelt …
In dem Moment spürte ich ganz genau, wie richtig die Entscheidung gewesen war, Michael keinen Pulli zu kaufen. Kate Bosworth würde ihrem Footballerfreund ja wohl auch niemals einen Pulli schenken.
Als Michael mich sah, lächelte er und sah dadurch nicht mehr wie Mr Rochester aus, weil der ja nie lächelt.
Er sah einfach nur wie Michael aus, und mein Herz schlug einen Salto Mortale, wie immer, wenn ich ihn sehe.
»Alles klar?«, fragte er beim Einsteigen und guckte mich besorgt an. (Mit seinen Augen, die so braun, beinahe schwarz sind, dass sie mich immer an das Moor erinnern, in dem sich Mr Rochester nur sehr vorsichtig bewegte, denn ein falscher Schritt und man versinkt auf Nimmerwiedersehen im Nichts. Genau wie ich, wenn ich in Michaels Augen schaue. Ich sinke tiefer und immer tiefer und denke jedes
Mal, dass ich nie mehr auftauchen werde, aber das finde ich gar nicht schlimm, weil ich mich nirgendwo wohler fühle.) Meine eigenen Augen sind ja bloß grau. Ungefähr so grau wie der Straßenbelag in New York. Oder die Parkuhren.
»Ich hab gestern Abend noch bei dir angerufen«, sagte Michael, dem Lilly einen unsanften Stoß gab, damit er ihr Platz machte. »Aber da hat deine Mutter gesagt, du liegst im Koma …«
»Ich war total müde«, sagte ich, entzückt darüber, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte. »Ich hab fünfzehn Stunden lang durchgeschlafen.«
»Aha«, sagte Lilly gelangweilt, die sich eindeutig nicht für meinen Schlafrhythmus interessierte. »Übrigens hat sich die Produktionsfirma, die den Film über dich gemacht hat, endlich gemeldet.«
»Echt?« Ich war überrascht. »Und?«
»Ich bin zu einer Frühstücksbesprechung
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