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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Sessel und Sofas, die zu viele Kilos getragen hatten, Tische, die an zu vielen Seeschlachten beteiligt gewesen waren, Teppiche, durch die man den Boden sehen konnte. Den Topfpflanzen, die im Fenster lagen, hatte jemand den Gnadenschuss gegeben (wenn sie nicht von selbst gestorben waren), und die Zeitungen unter dem Couchtisch waren anderthalb Jahre alt und erzählten von anderthalb Jahre alten Fußballsiegen. Die Mannschaft, die damals gewonnen hatte, war längst in der zweiten Liga – wo wir alle landen, früher oder später.
    Hildur Pedersen grabschte im Vorbeigehen nach einer halb vollen Wodkaflasche und zwei dreckigen Gläsern und pflanzte sich mitten auf ein Sofa, das leicht an eine Hängematte erinnerte. Sie schwenkte einen dicken Arm zu einem eingefallenen Lehnsessel in der Farbe von altem Taubendreck. Einen kurzen Augenblick lang sah ich einen glasklaren, azurblauen Himmel vor mir (wie der Himmel immer war über der sonnenvergoldeten Straße unserer Kindheit) und ich sah einen Schwarm von Tauben auf der Flucht, sah sie über die flachen, roten Dächer hinab in Richtung Vågen fliegen (und auf der anderen Seite von Vågen den Skoltegrunnskai mit den Amerikadampfern). Und hinter den anderen taumelte in luftigen, hilflosen Salti mortali eine trottelige Taube durch die Luft. Wie oft hatte ich mich nicht genau so gefühlt – wie ein Trottel, immer ein Stück hinter den anderen Tauben und zu schwindelig, um das Dasein zu überschauen. Mit dem blauen Himmel unter mir und den roten Dächern über mir schlitterte ich durchs Leben, von Zwischenlandung zu Zwischenlandung, wie hier, in einem fossilen Wohnzimmer bei einem Dinosaurier von einer Frau …
    Hildur Pedersen goss Wodka in die beiden Gläser und schob mir das eine herüber. Der Tisch zwischen uns war gelblich braun und zeigte blasse Ringe von einer Vielzahl von Flaschen und Gläsern, kleinen Narben von vielen Jahren Zigarettenglut unter einem Firnis von Staub.
    »Prost, Dicker«, sagte sie und kippte das halbe Glas in sich hinein.
    »Prost, Bohnenstange«, sagte ich und nahm einen zaghaften Schluck, während ich an das Auto dachte, das unten auf dem Parkplatz stand und damit rechnete, heute noch nach Hause zu kommen und am liebsten nicht in Begleitung eines Abschleppers.
    »Nun spuck schon aus, was du eigentlich willst! Wer hat dich hergeschickt, zur alten Hildur?«
    Ich antwortete: »Mich hat niemand hergeschickt, aber was ich will ist – Johan.«
    »Johan?« Sie sprach den Namen aus, als gehe es um einen entfernten Verwandten. »Was ist mit ihm?«
    »Ich habe ihn letztens getroffen, ganz zufällig – sozusagen. Oder vielleicht traf er mich. Oder eher: ein paar von seinen Kumpels trafen mich. Er selbst hielt sich im Hintergrund.«
    »Was faselst du da eigentlich?«
    »Hast du nie Probleme mit ihm gehabt?«
    »Probleme – mit Johan? Was zum Teufel glaubst du? Hast du schon mal von jemandem gehört, der Kinder kriegt und keine Probleme hat? Ist das nicht der Grund, warum wir sie kriegen? Johan war ein Problem, seit er einen Monat alt war – und damit meine ich acht Monate bevor er geboren wurde! Aber so ist das ja bei den meisten.«
    »Sein Vater …«
    »Der Mistkerl!«
    »Ihr wart nie – verheiratet?«
    »Den Idioten hätte ich nicht mal geheiratet, wenn er Wodkaimporteur gewesen wäre. Außerdem war er schon verheiratet. Ein Seemann, ein happy Seemann auf Landgang in der großen Stadt. Ein Hering von irgendwo oben im Sogneland, traf ihn beim Tanzen und hab ihn in meine Bude eingeladen. Topetage, Mann, mit Aussicht direkt auf das Haus daneben. Der Typ war so breit, dass ich ihn bei der Hand nehmen musste und in mich reinführen, und ich hatte nicht viel Freude an ihm. Aber immerhin einer, mit dem ich schlafen konnte, und ich musste auch an dem Morgen nicht alleine aufwachen. Aber verdammte Scheiße, ich sag dir, ich hab geflucht an dem Tag, als ich erfuhr, dass – dass – Johan unterwegs war!« Sie sah mich wütend an, als sei ich der Übeltäter.
    »Ich bekam seine Adresse raus und schrieb ihm einen Brief. Bat ihn, Geld zu schicken. Als er das nächste Mal in der Stadt war, rief er mich an: er war so nervös, dass ihm bei jedem zweiten Wort der Hörer aus der Hand rutschte. Doch, er wollte bezahlen, sagte er. Ich sollte so viel kriegen, wie ich wollte. Und er würde dem Kind alles finanzieren – die Ausbildung – und überhaupt, was er nicht alles … wenn ich ihm nur keine Briefe mehr schicke. Er hatte große Schwierigkeiten, seiner Madame zu

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