Dein bis in den Tod
erklären, von wem der Brief kam. Aber das war sein Problem, oder? Es soll schließlich auch für Männer nicht so einfach sein, Kinder zu bekommen!«
»Und wie ging es weiter?«
»Wie es weiterging? Was glaubst du? Er hielt sein Wort. Er hat mir seit damals jeden verdammten Monat Geld geschickt. Ich musste versprechen, ihn nicht als den Vater des Kindes anzugeben, aber ich hab eine Art Vertrag irgendwo hier, als Sicherheit, verstehst du? Dann würde er mir Geld schicken – und das tat er.« Sie sah verwundert auf die Wodkaflasche hinunter, als hätte er in Naturalien bezahlt.
»Und Johan?«
»Er wurde groß. Nicht mit der besten aller Mütter, aber er hatte jedenfalls eine. Ihm hat nie was gefehlt. Er bekam, was er brauchte – Kleidung, Essen –, bis er groß genug wurde, um selbst klarzukommen. Als er mit der Mittelschule fertig war, sagte ich: Nu ist aber gut mit Schule, Johan. Such dir einen Job und fang an, dir die Butter aufs Brot zu verdienen, und wenn’s keine Butter wird, dann jedenfalls Margarine.«
»Was für einen Job bekam er denn?«
»Keine Ahnung. Frag ihn selbst. Ich hab nicht – die letzten Jahre haben wir – ich denke, ich bin fertig mit ihm. Wir haben nichts mehr miteinander zu tun. Er wohnt immer noch hier, aber er könnte genauso gut Untermieter sein. Wir reden nicht miteinander. Er nennt mich eine fette alte Hure und gibt keine Antwort, wenn ich ihn was frage. Und ich weiß schon, warum.« Sie blinzelte mich hässlich an und goss mehr Wodka in ihr Glas. »Bist du trockengelegt, oder was? Anonymer Alkoholiker? Mamas kleiner Goldjunge? Trink aus und leiste mir Gesellschaft, zum Teufel!«
»Tut mir Leid, aber ich muss fahren, und am liebsten mit dem Kopf über Wasser.«
»Du hast also schon einen Führerschein?«
»Seit vorgestern, zu meinem Achtzehnten. Auf dem Bild sehe ich aus, als wäre ich fünfunddreißig, aber das sieht nur so aus. In Wirklichkeit fühle ich mich ungefähr wie sechzig.«
»Du bist wirklich nicht aufs Maul gefallen.«
»Stimmt. Warum hat Johan dich eine – äh – alte Hure genannt?«
»Warum glaubst du?«
Ich tat, als würde ich nachdenken, aber sie antwortete zuerst: »Weil ich ihm nicht erzählen wollte, wer sein Vater war.«
»Warum wollte er das wissen? Ich meine, gab es einen besonderen Grund?«
»Frag ihn selbst. Hätte ich diesen Trottel als Vater, dann wäre mir lieber, es nicht zu wissen. Aber du weißt, wie junge Leute sind.«
»Ich kann mich vage erinnern.«
»Sie wollen immer Dinge wissen, die ihnen nicht bekommen. Wie sie entstanden sind und wer der Vater ist und so was. Dummköpfe.«
»Aber du hast es ihm nicht erzählt?«
»Nein. Jetzt nicht mehr. Nicht nach – wie viele Jahre ist das her, achtzehn, neunzehn? Ich habe ihm das Gleiche gesagt wie denen in der Frauenklinik. Es seien so viele gewesen – und das stimmte auch. Aber nicht zu der Zeit. Das war eine ruhige Phase in meinem Leben. Ich hatte gerade eine – Enttäuschung erlebt. Und dann bekam ich noch eine – mitten rein. Eine neun Monate lange Riesenenttäuschung, die nie aufhörte. Ich weiß nicht, Johan, hab ich gesagt. Es könnten so viele gewesen sein. – Kannst du mir denn keinen einzigen Namen sagen?, fragte er mich. – Nein, ich weiß es nicht mehr. Es waren so viele. – Und alle haben sich auch nicht vorgestellt. Die wenigsten ließen ihre Visitenkarte da, und die, die wiederkamen, kamen wegen dem Schnaps. Ist es ein Wunder, dass er mich eine …« Ihr Blick verschwand in der Flasche und kam plötzlich nass wieder heraus. Sie blinzelte zu mir herüber. »Es ist ein Scheißleben, oder nicht – Veum?«
Ich nickte. »Jeden zweiten Tag«, antwortete ich.
»Jeden zweiten Tag? Dann hast du verdammt noch mal Glück.«
Ich nahm noch einen Schluck aus dem Glas, fast um etwas zu tun zu haben. Sie holte ein offensichtlich gebrauchtes Taschentuch hervor und wischte sich damit über die obere Gesichtshälfte, wie ein Grubengräber sich im Juni den Schweiß abwischt.
»Hast du ihn noch mal wiedergetroffen – den Vater?«, fragte ich.
Sie trank jetzt direkt aus der Flasche und sah mir nicht in die Augen. »Nein, warum sollte ich? Den Idioten? Wenn er mir nur Geld schickte, dann war ich zufrieden. Er hat mir übrigens diese Wohnung besorgt – wegen Johan. Hat die Mietsicherheit bezahlt und alles. Sonst hätte ich es mir ja nie leisten können. Und zur Fürsorge will ich auch nicht.«
»Wie hieß er?«
»Das geht dich einen Scheißdreck an. Warum fragst du überhaupt
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