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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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durch das Küchenfenster, sah aber nichts als weiße Gardinen, die schon vor einer ganzen Weile eine Wäsche nötig gehabt hätten.
    Ich klingelte.
    Es vergingen einige Jahre, aber ich kann ziemlich geduldig sein, also klingelte ich noch einmal.
    Ein paar Jahre später hörte ich eine Stimme aus weiter Ferne, ungefähr wie das Grammeln im Bauch eines Mannes, der am anderen Ende des Busses steht. Die Worte waren unmöglich zu verstehen.
    Es war eine grobe Frauenstimme oder eine helle Männerstimme. Ich tippte auf das Erstere – und gewann.
    Die Frau, die die Tür öffnete und mich misstrauisch beäugte, hatte ein Gesicht, das wohl nur ein sehr liebevoll ergebener Sohn lieben konnte, jedenfalls auf den ersten Blick. Wenn mir das nächste Mal die Albträume ausgegangen waren, würde ich versuchen, mich daran zu erinnern.
    Es war ein Gesicht, das viel zu viele Nächte und viel zu wenige Tage gesehen hatte. Es war ein Gesicht, das durch die dunkelsten Korridore des Lebens gegangen und niemals ans Tageslicht gekommen war. Ein Gesicht, das man eventuell mögen konnte, wenn man es in einem dunklen Raum entdeckte, wenn es sich am anderen Ende des Raumes befand und man in Begriff war, zu gehen.
    Hildur Pedersens Haar war weder grau noch braun oder schwarz oder rot, sondern alles zugleich, in unregelmäßigen Klecksen, und es hatte die letzten paar Monate weder Kamm noch Bürste gesehen. Es stand nach allen Seiten, wie die Mähne eines uralten Löwen in einem heruntergekommenen Zirkus. Im Grunde ein passender Rahmen für das Gesicht, das es umgab.
    Hildur Pedersen war möglicherweise einmal recht hübsch gewesen, aber das war mindestens zwanzig Jahre oder fünfzig Kilo her. Ich war noch nie besonders gut darin, Körpergewicht zu schätzen, aber bei ihr tippte ich auf die 120-Kilo-Kategorie und ungefähr dreißig davon trug sie im Gesicht. Die Augen – wenn sie welche hatte – lagen tief zwischen zwei Fettwülsten verborgen und die Nase – es musste wohl eine Nase sein – hatte es mit Mühe geschafft, die äußerste Spitze im Freien zu behalten (was allerdings daran liegen musste, dass sie ursprünglich ungefähr zwanzig Zentimeter lang war). Irgendwo hatte sie sicher einen Mund, aber es war schwer, ihn zwischen den vielen Kinnen zu finden. Schließlich entdeckte ich, dass das eine Kinn rot angemalt war und ging davon aus, dass es sich wohl um den Mund handeln musste.
    Ihr ganzer Kopf – und es war ein großer Kopf – ruhte auf einem Fettkragen, und der Körper darunter passte förmlich zum Rest. Sie war eine Lawine von einer Frau, und ich hätte ihr um keinen Preis unterkommen wollen.
    »Frau Pedersen?«, fragte ich einleitend, während ich nach ihren Augen suchte.
    Sie öffnete den Mund und mir schlug der unverkennbare Geruch billigen Branntweins entgegen: »Was wünschen Sie?«
    Sie hatte eine grobe Stimme, aber der Tonfall war äußerst artikuliert, als sei sie in der Gegend von Kalfaret geboren und aufgewachsen, und hätte nur nie mehr den Weg nach Hause gefunden.
    »Einen kleinen Plausch, über alte Zeiten und – so weiter.«
    »Wer sind Sie?«
    »Mein Name ist Veum, und ich bin so eine Art Privatdetektiv.«
    »Eine Art? Entweder sind Sie einer oder nicht.«
    »Okay, aber es ist immer so peinlich, es direkt zu sagen, wenn Sie verstehen?«
    »Das versteh ich gut. Wenn ich so aussehen würde wie Sie, dann würde ich mich überhaupt schämen.«
    »Ach ja?« Darauf hätte es eine ganze Reihe augenfälliger, guter Repliken gegeben, aber ich hatte keine Lust rausgeschmissen zu werden, bevor ich überhaupt reingekommen war. Außerdem gefiel mir die Dame irgendwie. Sie klang wie eine Frau, mit der gut Ping-Pong spielen wäre, eine halbe Stunde lang oder so.
    Ich sagte: »Wollen Sie mich nicht hereinbitten, um die Aussicht zu betrachten?«
    »Trinken Sie Wodka pur?«
    »Ich bevorzuge Aquavit.«
    »Ich habe nur Wodka, und ich habe nichts zum Mixen. Ich habe weder Kaffee noch Tee. Keine Milch. Aber es ist Wasser in der Leitung, wenn du Durst bekommen solltest – ansonsten gibt es also Wodka. Und der schmeckt grässlich. Aber er tut gut. Eine Weile.«
    Während sie diese Rede hielt, schwappte sie langsam in die Wohnung zurück – wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen (und die musste stark sein) –, aber sie ließ die Tür offen stehen. Ich nahm das als Einladung und folgte ihr, schloss aber die Tür hinter mir.
    Die Wohnung war ungefähr wie die von Wenche Andresen, abgesehen vom Inhalt. Die Möbel waren verschlissen,

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