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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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mich nicht erinnern.« Aber ich hatte das Gefühl, dass ich kurz davor war, alles zu vergessen.
    Er sagte: »Reidar Manger, aber er kommt nicht aus Manger, sondern von irgendwo aus dem Sørland. Kristiansand, glaube ich. Er ist Privatdozent an der Uni! Er beschäftigt sich mit amerikanischer Literatur. Einer von diesen blassen Gesellen, der bis tief in die Nacht an seiner Doktorarbeit über Hemingway sitzt, aber völlig überfordert wäre, wenn er jemals eine lebende Forelle zu Gesicht bekäme.
    Aber er ist nett, ich mochte ihn immer – obwohl immer übertrieben ist, ich hab ihn ja nicht so oft gesehen –, und mögen ist ein vielschichtiges Wort. Wenn du …«
    »Doch, ich verstehe, was du meinst«, sagte ich.
    »Genau. Genau.« Er sprach jetzt bedeutend langsamer, und sein Kopf sackte noch ein wenig tiefer. Abgesehen davon hätte er auch völlig nüchtern sein können. Ich bemerkte die anderen Gäste nicht mehr: Es gab nur noch uns beide. Und eine Frau namens Solveig.
    »Ihr Mann kam rein, hast du erzählt.«
    »Ja – ja! Genau. Netter Kerl, Reidar Manger. Einen Abend saßen wir mehrere Stunden zusammen und diskutierten über ›Tod am Nachmittag‹. Ich hatte nur die erste Hälfte gelesen, aber er hatte es hundert Mal gelesen, also machte das nichts. Aber wir wurden uns nie einig.«
    »Worüber?«
    »Über die zweite Hälfte. Die ich nicht gelesen hatte.«
    »Ich verstehe, was du meinst. Ich hab es auch gelesen. Aber als er reinkam – an dem Tag …«
    »Er sagte nichts. Er tat nichts. Ich weiß nicht einmal, ob er uns etwas ansehen konnte. Wenn er Hemingway spielen wollte, hätte er versuchen können, mich aus dem Fenster zu werfen, aber er hätte sich wahrscheinlich nur die Knöchel gebrochen.
    Er kam rein, um sie abzuholen, auf dem Weg nach Hause zu seinen Büchern, und wir saßen noch eine Weile über unserem lauwarmen Kaffee. Ihm schenkten wir auch einen Schluck ein. Aber es war schwierig, das Gespräch in Gang zu halten. Ich traute mich ja nicht einmal, sie anzusehen, und wenn ich ihn ansah, dann würde er vielleicht glauben, ich wollte mit ihm anbändeln. Du weißt, diese Forscher für amerikanische Literatur, die sehen überall verdrängte Homosexualität. Sie haben ›Der große Gatsby‹ gelesen, du weißt, mit Erklärung und allem Drum und Dran. Und ›Huck Finn‹ und den ganzen Kram.
    Also, nach einer Weile gingen wir alle nach Hause, die beiden nach Skuteviken und ich den ganzen weiten Weg zu meiner Familie. Als ich nach Hause kam, an dem Tag, musste ich mich sofort hinlegen. Ich war völlig fertig, ich fühlte mich wie zerschlagen, die Beine zitterten. Später erzählte sie mir, dass es ihr auch so gegangen war, dass sie einen langen Spaziergang machen musste, alleine, den Fjellvei entlang. Und am nächsten Tag, kurz bevor wir nach Hause fuhren, gab sie mir einen Briefumschlag – und dann ging sie. Ich weiß noch immer, was drin stand: Lieber guter Freund! Wenn es um Gefühle geht, konnte ich mich leider noch nie besonders gut in Worten ausdrücken, deshalb muss ich dich dafür bewundern, dass du mir so viel Schönes sagen konntest.
    Seitdem gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Wie du selbst gesagt hast – so was geschieht einfach – auch mit mir. Ich hoffe sehr, dass wir uns unter anderen Umständen treffen können – wenn sich das machen lässt. Mach’s gut. Und dann die Unterschrift: Eine Umarmung und ein Kuss von einer ›lieben‹ Freundin. – Und ein PS: Reiß diesen Brief in tausend Stücke, bitte!! – Aber ich konnte ihn in tausend Stücke reißen, und ich konnte auf ihm hüpfen und tanzen, und ich konnte ihn zu Asche verbrennen, aber ich werde niemals die Worte vergessen, die darin standen. Es ist der schönste Brief, den ich jemals bekommen habe.«
    Er schüttelte nachdrücklich den Kopf, um seine Worte zu unterstreichen. »Niemals. Und so – so fing es ernsthaft an, dass wir – mehr als nur gute Freunde wurden.«
    Wir saßen da und tranken. Dann fragte ich weiter: »Und was geschah dann, Jonas?«
    »Dann geschah – dann ging es los. Wir fingen an, uns zu treffen, meistens nach der Arbeit. Tranken irgendwo Kaffee, redeten, saßen da und spielten mit unseren Fingern. Redeten einfach. Eines Abends – eines Abends trafen wir uns, und ich hatte den Wagen dabei, und wir fuhren – es kam mir sehr, sehr weit vor. Oben an der Kirche in Fana parkten wir und gingen den Weg dort entlang. Hand in Hand in einer schwarzen, regennassen Winternacht – und dort im Wald, irgendwo im

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