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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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begegnest, dann hast du das Gefühl, endlos viel Zeit zu haben. Du hast das Leben vor dir und kannst warten – wenn sie nur am Ende zu dir kommt.«
    »In der letzten Straße, in der allerletzten Stadt? Doch, ich verstehe, was du …« Ich hatte sie gesehen.
    »So, da hast du die schmutzige kleine Geschichte meiner Untreue, Varg. Zwei Menschen, die einander zu spät begegneten, drei Kinder und zwei Ehepartner zu spät. Zwei Menschen, die einander unplanmäßig lieben, nachdem der Vorhang schon gefallen ist. Die anderen, die wollen es nur von außen sehen, als den gewöhnlichen, sexuellen Seitensprung. Aber so war es nicht. Für mich war es die große Liebe, wenn es so was anderswo als in Jungmädchenbüchern gibt. Es wurde auch erotisch, später, und ich habe es noch nie mit einer Frau so gut gehabt, auch dabei. Aber es war Erotik und nie Sexualität. Es war nicht … Zu ihr habe ich nie gesagt, dass wir gevögelt hätten, oder gebumst – denn das taten wir nicht. Wir liebten uns …«
    Er sah mich an, als erwarte er, dass ich protestieren würde. Aber das tat ich nicht. Ich hatte sie gesehen – und sie hatte mich angelächelt.
    »Ich habe keine Ahnung, warum ich hier sitze und dir das alles erzähle.« Er sah vorwurfsvoll von seinem Bierglas zu meinem. »Ich habe noch nie mit jemand anderem darüber geredet – bis jetzt. Mit niemandem, außer mit Wenche, und da habe ich ihr sozusagen nur einen Namen zum Fraß vorgeworfen, habe ihr etwas gegeben, nach dem sie schnappen konnte, bevor sie mich rauswarf.«
    Er sah betrübt vor sich hin. »Es ist schwierig gewesen – rein praktisch, die letzten Monate. Eine Sache ist, dass du für deinen Sohn und deine … Dass ich für Wenche zahlen muss. Etwas ganz anderes ist, dass du selbst ganz von vorn anfängst. Und für untreue Ehemänner gibt es keine einmaligen Darlehen, keine Zuschüsse. Du brauchst eine Wohnung, und das kostet heutzutage nicht wenig, und du brauchst auch etwas, womit du sie einrichtest, worauf du schläfst, wovon du isst, wo du deine Kleider draufhängst – und hinein. Also grüße Wenche von mir und sage ihr, dass es mir Leid tut. Dass mir alles Leid tut, seit ich das erste Mal in ihr Leben gestolpert bin. Dass es mir Leid tut, dass ich das mit der Versicherung noch nicht erledigt habe. Und das ich es erledigen werde. Sag ihr – sag ihr, dass sie das Geld bekommt, morgen oder übermorgen. Dass ich selbst kommen und ihr den ganzen Betrag eigenhändig übergeben werde, für lange und treue Dienste in der Brigade der betrogenen Ehefrauen et cetera, et cetera. Grüße sie einfach von Jonas und sag ihr, dass es Jonas Leid tut, ja, Varg?«
    Ich war müde. Und ich war blau. Ich sagte: »Ich werde die Botschaft überbringen. Ich werde ihr erzählen, dass ich direkt vom Wal komme und dass es Jonas Leid tut. Ich werde ihr erzählen, dass – ja.«
    Ich war zu müde und zu blau, um mehr zu sagen.
    Wir bezahlten unsere letzten beiden Halben und blieben noch eine Weile sitzen, wohl weil wir keine Lust hatten, aufzustehen.
    Als wir endlich so weit waren, stießen wir auf dem Weg nach draußen immer wieder wie zwei siamesische Zwillinge aneinander. Der Türsteher hielt uns die Tür auf, und wir traten auf den Gehsteig.
    Dort blieben wir stehen und schwankten wie zwei junge Verliebte, die sich nicht verabschieden wollen. »Wohin musst du?«, fragte ich.
    »Zum Prestestien«, sagte er. »Aber ich brauche ein Taxi.«
    »Okay«, sagte ich. »Da hast du die Wahl zwischen der Holbergstatue und der Festung.«
    »Ich nehme die Festung«, sagte er. »Das ist jedenfalls die richtige Richtung.«
    »Okay. Dann gute Überfahrt.«
    »Danke gleichfalls. Wohin musst du?«
    »Nach oben«, antwortete ich.
    Er sah zum Himmel. Die graue Wolkendecke war aufgerissen und durch einige Löcher blitzten Sterne hervor. »Da rauf?«, fragte er.
    »Nicht ganz so weit«, antwortete ich.
    Dann schlug er mir auf die Schulter und sagte: »Remember Alamo, Reidar.«
    Ich hatte keine Zeit, darauf zu reagieren, dass er mich plötzlich Reidar nannte, denn er hatte mich schon verlassen und torkelte Bryggen entlang: ein Werbemann in Anzug und mit Stresskoffer in der Hand und dem Mantel unter dem Arm. Ein Mann mit einem zerfransten Ruf und einer verletzbaren Liebe irgendwo in seinem Inneren. Einer von den vielen, die auf dem falschen Planeten gelandet waren, in einem falschen Jahrhundert. Einer von den vielen …
    Ich drehte mich um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Auf der anderen Seite von Vågen

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