Dein bis in den Tod
ließ die Frage eine Weile in der Luft hängen. »Du hast es tatsächlich gesehen?«
Ich war nicht gut genug in Form für solche Fragen. Ich sagte: »Ja, ich habe es gesehen, und es war kein Freundschaftsdienst. Wenn ich ihr wirklich hätte einen Freundschaftsdienst erweisen wollen, dann hätte ich es besser gemacht. Ich hätte zum Beispiel Joker, Johan Pedersen, nicht gleichzeitig ein Alibi verschafft. Und ich hätte ihr davon abgeraten, mit dem Messer in der Hand dazustehen, als ich ankam.«
»Ja, aber du bist der Einzige, der sagt, dass es so war. Nach allem, was wir wissen, waren ihre Fingerabdrücke schon an dem Messer, als es in ihm steckte. Jedenfalls gab es keine anderen als ihre und deine.«
»Tatsächlich?« Ich ließ seine Worte einen Moment sacken. Sie sackten tief, und ich hörte nicht, dass sie auf dem Boden auftrafen. »Tja.«
»Außerdem haben wir seine Geliebte schon verhört – und ihren Ehemann auch.«
Ich sah aus der Tiefe nach oben. »Ja?«
»Ja.« Er betrachtete mich leicht amüsiert.
»Und?«, fragte ich.
»Wann sagst du, sei es passiert? Kannst du es ungefähr auf die Minute angeben?«
»Nein. Ungefähr um vier, denke ich. Jedenfalls nicht später.«
»Genau. Und diese Frau – seine Geliebte – war bei der Arbeit bis so gegen fünf vor vier. Sie hatte also fünf Minuten, um vom Zentrum den weiten Weg da raus zu kommen, und soweit uns bekannt ist, stand ihr kein Hubschrauber zur Verfügung. Es ist mit anderen Worten unmöglich.«
Aus irgendeinem Grund atmete ich erleichtert auf, Solveig Manger war aus dem Schneider. »Und der Ehemann?«
»Noch unmöglicher. Von drei bis fünf Uhr nachmittags leitete er ein Hauptseminar in Literaturwissenschaft oben an der Universität, mit acht Studenten. Acht Zeugen. Außerdem hatte er keine Ahnung von der Beziehung – bis wir es ihm erzählten. Sagte er jedenfalls.«
Ich atmete wieder schwerer – wieder fühlte ich mit Solveig Manger. Diese Art von Informationen wünscht man seinen Ehegatten selten und am wenigsten über andere.
»Andere potenzielle Feinde haben wir nicht lokalisieren können. Abgesehen von dieser Frauengeschichte und einem gewissen Mangel an Sinn fürs Praktische, was sich in einigen alltäglichen Problemen äußerte, scheint Jonas Andresen ein geordnetes, normales Leben geführt zu haben. Er war beliebt in seinem Betrieb und von seinen Kollegen anerkannt, nicht zuletzt auch von seinen Geschäftspartnern. Er hatte keine nahen Verwandten, außer einer Schwester, die in Stavanger verheiratet ist und die er die letzten Jahre immer nur zu Weihnachten gesehen hat. Sie kommt zu Weihnachten nach Hause und legt einen Kranz auf das Grab ihrer Eltern, und dann fährt sie wieder zurück, rechtzeitig zum Weihnachtsbraten. Es war also offensichtlich keine enge Beziehung. Wie bei so vielen.«
Er machte eine Pause, nahm ein Papier und las es langsam durch, als habe er mich plötzlich vergessen. Dann schaute er über das Papier zu mir herüber und sagte: »Also haben wir tatsächlich keine anderen Verdächtigen als – Wenche Andresen. Und sie ist – milde ausgedrückt – sehr stark belastet.«
Ich fragte mit dünner Stimme: »Die Obduktion – was ist damit?«
»Die vorläufige Obduktion …« Er griff nach einem Formular in einem anderen Haufen. »Willst du es im Detail wissen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Meine Lateinkenntnisse sind eher schlecht. Die Ergebnisse reichen mir.«
Er überflog das Blatt. »Tja … Todesursache sind die Messerstiche in die Bauchregion. Die Lunge ist perforiert, der Magen aufgerissen, mehrere andere innere Organe … Er hatte keine Chance zu überleben. Und außerdem hatte er deutliche Spuren eines schweren Schlages an der Stirn, hier, an der rechten Schläfe.« Er zeigte mit dem Finger auf seine Schläfe, und ich suchte unwillkürlich nach einem blauen Fleck oder einer Beule, aber er hatte keine.
»Ein Schlag?«
Er nickte bedeutsam und ich sah, dass er noch mehr zu erzählen hatte. »Wir haben uns dieses Marmeladenglas genauer angesehen, es unters Mikroskop gelegt. Und wir haben tatsächlich einige Hautpartikel an der einen Seite des Bodens gefunden. Wir sind noch nicht so weit gekommen, diese mit der Haut des Toten zu vergleichen, aber …«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Es war genug, mehr als genug. Er hatte fast bombensichere Beweise.
»Übrigens, noch eines«, sagte er. »Du hast irgendetwas gesagt, dass er wahrscheinlich mit Geld gekommen sei. Von einer Lebensversicherung,
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