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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Hände mit hervortretenden, fast blauschwarzen Adern, voller dichter, heller Haare, und ebenso braun wie sein Gesicht.
    Er sagte: »Wir können ruhig gleich zur Sache kommen. Glauben Sie, dass Wenche Andresen ihren Mann umgebracht hat?«
    Ich sagte: »Nein.«
    Er betrachtete mich mit nachdenklichen, interessierten Augen, und ich setzte hinzu: »Das glaube ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    Ich öffnete den Mund, aber er unterbrach mich, bevor ich ein Wort sagen konnte: »Wenn ich so frage, dann weil es mir im Grunde absolut gleichgültig ist, ob ein Klient schuldig oder unschuldig ist. Einen schuldigen Klienten zu vertreten, kann ebenso interessant sein – jedenfalls ist es anspruchsvoller. Ein unschuldiger Klient ist eigentlich eine Bagatelle, jedenfalls für mich.« Die letzten Worte klangen in keiner Weise brutal. Es war eher eine Tatsache, die er feststellte, und damit war es ein Faktum. Ich spürte, wie ich langsam freier atmete. Wenn Wenche Andresen wirklich unschuldig war und der legendäre Paulus Smith und der nicht ganz so legendäre Varg Veum sich zusammentaten, um ihre Unschuld zu beweisen – dann musste es einfach gut gehen, dann konnte kein Jakob E. Hamre der Welt uns aufhalten.
    Paulus Smith sagte: »So, wie ich es sehe, sieht es ziemlich düster aus. Für sie, vorläufig. Ich kann nichts anderes sehen, als dass sie es getan haben muss. Es gibt keine anderen glaubhaften Erklärungen. Das Ergebnis der Obduktion, die Zeugenaussagen – unter anderem Ihre eigene – ihre eheliche Beziehung, ihr Hintergrund: Alles deutet darauf hin, dass wir es mit einer Mörderin zu tun haben. Mir wird es eher darum gehen, zu erklären, warum sie es getan hat, warum sie es tun musste. Wenn ich heute schon etwas sagen sollte, bei nur oberflächlicher Kenntnis des Tatbestandes, dann muss ich auf »zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig« plädieren. Diese untreuen Ehemänner sind nie besonders populär, weder bei den Leuten im Allgemeinen, noch beim Rechtsapparat. Sie wird die Sympathien auf ihrer Seite haben, hier wie dort. Ohne dass es am Tatbestand etwas ändert, versteht sich. Aber ich kann Ihnen schon heute garantieren, mit der Hand auf dem Herzen, dass sie, auch wenn sie schuldig ist, eine ziemlich milde Strafe bekommen wird. Sie wird in ein paar Jahren wieder draußen sein – wenigstens auf Urlaub.«
    »Ein paar Jahre können ziemlich lang sein. Und sie hat es nicht getan.«
    Er beugte sich über die Schreibtischkante. »Das sagen Sie, Veum. Und jetzt möchte ich gern wissen, warum.«
    Ich sagte: »Weil ich es spüre und weil …«
    »Spüren!« Er lächelte herablassend. »Gefühle werden nicht ausreichen, Veum, nicht vor Gericht. Da brauchen wir Fakten. Aber ich kann Sie verstehen. Sie sind ein recht junger Mann, und Wenche Andresen – na ja … ist ein süßes Mädel.«
    Ich sagte: »Ja. Aber das ist nicht der Grund. Ich habe nur das Gefühl, dass es Dinge gibt, die wir noch nicht entdeckt haben. Da draußen ist viel Merkwürdiges passiert und es gibt noch mehrere, mit denen wir reden sollten – ja, die Polizei natürlich auch.«
    »Wir?«, fragte Paulus Smith.
    Ich sagte: »Ich muss mit Wenche Andresen sprechen. Wenn Sie mich engagieren würden, um den Fall durchzugehen, den Tatbestand zu untersuchen, wie Sie es nennen, Feldforschung zu betreiben – gäbe es dann die Möglichkeit für mich, mit Wenche Andresen zu sprechen?«
    Er nahm die Hände auseinander, um die Fingerkuppen aneinander zu legen. Dann nickte er langsam. »Die gäbe es. Als mein Mitarbeiter würden Sie vom Brief- und Besuchsverbot ausgenommen. Ist es das, was Sie wollen?«
    Ich sagte: »Das einzige, was ich will, ist beweisen zu dürfen, dass sie unschuldig ist!«
    Er nickte grimmig. »Es ist meine Pflicht, alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um dasselbe zu beweisen. Und aus irgendeinem Grund glaube ich Ihnen, Veum. Fragen Sie mich nicht, warum. Wahrscheinlich werde ich alt. Der weiche Kern dringt langsam durch die Risse. In diesem Fach bekommt man Risse, wenn man so alt ist wie ich, Veum. Ich habe viel Elend gesehen, viele Schicksale. Und was ist der Grund? Ich bin kein Gesellschaftsstürmer, ich sitze nur auf dem Rand des Wasserglases und beobachte den Sturm. Aber ungefähr die Hälfte der Fälle, mit denen ich zu tun hatte, waren durch gesellschaftliche Verhältnisse verursacht, durch das Klassensystem, das sogar noch in unserer heutigen Wohlfahrtsgesellschaft Sieger und Verlierer produziert. Und es sind immer die Verlierer, die vor

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