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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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den – festen Verankerungspunkt zu geben, der ein Vater ist. Oder sein kann.«
    »Es war – naja, er wollte es so. Er wollte nicht riskieren, dass Johan, wenn er älter würde, plötzlich vor seiner Tür stünde und – Probleme machte.«
    »Und du hast das akzeptiert?«
    Es war eine plötzliche Wildheit in ihrer Stimme, als sie hervorstieß: »Ich hab doch gesagt: Ich liebte ihn!« Eine Wildheit, die in einem traurigen Seufzer erstarb. »Ich liebe ihn noch heute.«
    Ich sagte nichts. Es war merkwürdig in dem großen, nackten Wohnzimmer zu sitzen, während die Dunkelheit draußen schwärzer und schwärzer wurde. Die leeren Flaschen schimmerten, und auf der anderen Seite des Tisches saß eine Frau von 120 Kilo und vertraute mir das bestgehütete Geheimnis ihres Lebens an.
    Mit schwächerer Stimme fuhr sie fort: »Aber für ihn – für ihn war es nur ein Abenteuer. Er – die ersten Male, die ersten Male, als er – uns besuchen kam, da kam es noch vor, dass wir – dass er mit mir … Ich war jünger damals, und hübscher, und nicht so – schwer. Aber jetzt, jetzt ist es viele Jahre her, dass er – mir auch nur einen Kuss gegeben hat. Es ist fast wie – eine normale Ehe. Für ihn ist es schon seit Jahren vorbei. Wenn es überhaupt jemals etwas war. Für mich wird es erst vorbei sein, wenn ich es auch bin. Vorbei.« Sie suchte mit tastenden Augen im Dunkeln nach mir. »Es ist merkwürdig mit der Liebe – oder nicht, Veum? Dass sie uns so viel, viel zu selten – gleichzeitig trifft?«
    Ich nickte. Sie hatte Recht. Wenn ich in den letzten paar Tagen etwas gelernt hatte, dann das. Dass die Liebe ein schlechter Schütze ist, und selten zwei Ziele zugleich trifft.
    Sie sagte: »Viel zu viele Ehen sind nur Dreck. Eigentlich bin ich froh, dass mir das jedenfalls erspart geblieben ist. Ich brauche mein Leben nicht mit halben Lügen, halber Liebe und halbem – allem nur halb zu verbringen.«
    Eine andere Erkenntnis der letzten Tage hatte mich gelehrt, dass die, die ihr Leben allein leben müssen, immer eine gute Entschuldigung haben oder einen guten Trost. Das ist das Einzige, was sie überleben lässt.
    Ich fand den Faden wieder: »Und du warst auch nicht ganz ehrlich, als du sagtest, er sei Seemann gewesen, stimmt’s? Nicht ganz.«
    »Nein. Du hast Recht.«
    »Er war Marineoffizier.«
    Sie nickte schwer.
    »Und er heißt Richard Ljosne.«
    Sie starrte mich düster an. »Wie – wie hast du das rausgefunden, Veum?«
    Ich sagte: »Er hat es mir selbst erzählt – indirekt. Oder ich habe ein paar voreilige Schlüsse gezogen, die dann doch nicht so voreilig waren.«
    Ich stand auf. Nun wusste ich es also. Ohne dass mir ganz klar war, was es bedeutete oder ob es überhaupt etwas bedeutete. Vielleicht war es nur ein Zufall. Vielleicht war es so, dass du, wenn du erst einmal anfängst, in der Vergangenheit der Leute herumzuwühlen, immer eine Leiche im Keller findest. Denn jeder hat eine, irgendwo.
    Ich reichte ihr die Flasche über den Tisch. »Hier, Frau Pedersen. Der Morgen ist noch weit.«
    Sie nahm die Flasche und betrachtete sie düster. »Viel zu viele Nächte, Veum. Viel zu viele Flaschen.«
    Ich nickte. Das war eine Grabinschrift, und ich könnte sie selbst gebrauchen, irgendwann. Ich sagte: »Mach’s gut, so lange.«
    »Mach’s gut, Veum. Und danke für deinen Besuch. Ist immer nett. Findest du raus?«
    »Mmmh.«
    Sie saß da, die Flasche zwischen ihren Schenkeln ruhend, wie ein hilfloser Liebhaber. So verließ ich sie. Ich hatte ihr nicht mehr zu geben, und ich hatte ihr nichts gegeben. Ich war der Wind: Ich stellte meine Fragen, bekam meine Antworten und wehte weiter. Ich war der Heuschreckenschwarm: Ich fraß alles ab, was mir in den Weg kam und hinterließ ein kahl gefressenes Leben, eine Nacht ohne. Geheimnisse. Ich war die Sonne: Ich hinterließ verbrannte Wiesen, sterbende Wälder, erlöschendes Leben. Aber das Merkwürdige an der Sonne ist, dass sie zuerst tötet und dann wieder zum Leben erweckt. Nach der Trockenheit kommt immer ein Regentag. Nach dem Winter kommt immer ein Frühling. Aber die Trockenheit und der Winter kommen immer zuerst – die Wahrheit fordert ihr Vorrecht.
    Ich tastete mich vorsichtig aus Hildur Pedersens Leben hinaus.
     
    Ich hatte nichts mehr zu tun, war selbst ausgebrannt und kahl gefressen. Ich überquerte den Parkplatz und ging zum Auto, schloss auf, steckte den Zündschlüssel ins Schloss, trat die Kupplung durch und drehte den Schlüssel herum.
    Keine Reaktion, nur ein

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