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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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du dich. Die Leute haben da oben schon die volle Packung gekriegt, lange bevor du auf der Bildfläche erschienen bist!«
    Ein letzter Tritt, und dann ein Paar Füße, die sich entfernten: Ein Racheengel, der über einem Meer von Flammen aufstieg.
    Ich versuchte, den Kopf zu heben, um ihn zu sehen. Um ihm mit dem Blick zu folgen und zu sehen, ob er ein Feuerschwert trug, ob ein Flammenkranz um seinen Kopf stünde.
    Aber was half es, den Kopf zu heben? Wozu sollte das gut sein?
    Ich blieb auf dem Asphalt liegen. Schwach spürte ich den Geruch meines Autos, von Benzin und Öl. Ich lag mit dem Kopf darunter und sah hinauf in eine graue, verbeulte Mondlandschaft aus braunen Rostflecken und erstarrtem Dreck. Es war wie in einem Himmelbett, mit einem Himmel aus Grau, Braun und Schwarz, einem Himmel aus verrotteter Seide, umrandet mit Spinnweben und Mäusedreck. Und da war ein starker Geruch, ein Geruch von Tod …
    Ich übergab mich, langsam und ohne heftige Bewegungen. Ich lag ganz still, auf dem Rücken, und fühlte, wie ich von unten her angefüllt wurde, wie sich meine kaputten Lippen öffneten, wie mein Mund überlief und ich mich übergab, so unendlich langsam und so unendlich vorsichtig – wie der zärtlichste sanfteste Kuss …
    Dann verlor ich das Bewusstsein.

39
    »Hallo?«
    Ich schlief. Ich war im Paradies. Eine Frau mit Haaren, die weder blond noch braun noch rot waren, beugte sich vorsichtig über mich und atmete in mein Gesicht. Ihr Gesicht war rein und schön, und sie hatte schon Fächer von reifen Lachfältchen in jedem Augenwinkel. Ihre Lippen …
    »Hallo?«
    Ihre Lippen: Ich versuchte, mich an ihren Lippen festzuhalten – als ob – als ob …
    »Hallo, Sie! Sind Sie tot, Mann?«
    Ich öffnete die Augen. Es tat weh. Es war wie eine verrostete Keksdose zu öffnen, die seit Weihnachten vor zwei Jahren nicht mehr geöffnet worden war. Mein Gesichtsfeld war mit Rost umrandet und der Mann, der sich über mich beugte, war zu zweit. Und dann zu dritt. Und dann wieder zu zweit.
    Ich schloss die Augen ganz fest.
    »Hallo?«
    Jemand rief im Dunkeln, aber wer in den Wald hineinruft – wie war das doch gleich? Wie man in den Wald hineinruft …
    »Hallo.« Das war meine eigene Stimme, und sie erschreckte mich so, dass ich die Augen wieder öffnete. Der Mann war jetzt allein, aber meine Stimme hatte wie ein zweistimmiger Männerchor geklungen, die Kastraten ganz links.
    Das Gesicht über mir war alt, um die siebzig. Nur Leute um die siebzig reden heutzutage mit Leuten, die langsam unter alten Autos dahinsterben. »Ist Ihnen was passiert?«, fragte er.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Ist Ihnen was passiert?«, wiederholte er jetzt lauter.
    Er hatte einen Bart, wie ihn alte Männer haben, kurze, weiße Stoppeln mit irgendwas Braunem vermischt. Der Mund war innen dunkel und die Zähne waren braun. Seine Augen wirkten schwarz, das Gesicht weiß. Das Haar unter dem Hut war weißgrau. Er trug einen Schal um den Hals und einen dicken, dunklen Mantel. In der einen Hand hielt er einen Spazierstock. Die andere Hand hing neben ihm herunter, als gehörte sie eigentlich nicht zu ihm. Ich sah ihn jetzt ganz klar.
    Ich versuchte aufzustehen und begnügte mich dann damit zu sitzen. Der ganze Parkplatz drehte sich um mich. Ich lehnte mich schwer gegen das Auto und wartete geduldig, dass sich das Universum wieder beruhigte.
    »Sie bluten«, sagte er.
    Ich hob eine Hand zu meinem Gesicht. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Boxerhandschuh an. Ich ließ ihn über das Gesicht streichen. Es war nass, und es tat weh.
    »Sie sehen nicht schön aus«, fuhr der Mann über mir fort.
    »Das war ich noch nie«, murmelte ich.
    »Wie bitte?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich habe Sie nicht verstanden.«
    Der Parkplatz kam zur Ruhe. Ich versuchte, mich an der Wagentür hochzuziehen. Es ging – langsam. Aber mir wurde schlecht, fürchterlich schlecht. Ich musste eine kräftige Gehirnerschütterung haben. Wenn von meinem Hirn noch etwas übrig war. Ich hatte das Gefühl, dass mir das ganze Hirn langsam aus dem Gesicht tropfte, auf die Hände hinunter und von dort auf den Asphalt. Von Asphalt bist du genommen, zu Asphalt sollst du werden.
    »Waren das diese Jugendlichen?«, fragte er.
    Ich sagte: »Nein nein. Ich liege hier nur so auf dem Parkplatz und sehe unter mein Auto. Die beste Aussicht der Welt.«
    Er nickte verständnisvoll. »Ich kann hören, dass Sie einen ordentlichen Schlag bekommen haben. Es ist eine Schande. Wollen Sie,

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