Dein Blick so kalt
Tür auf und Lous Klon kam herein. Jedenfalls sah es in der ersten Sekunde ganz danach aus. Sandfarbene Chino, weiße Bluse. Die langen dunklen Haare waren allerdings glatt und die Ballerinas so schwarz, wie das Gestell der Brille, die die Art-Direktorin trug. Außerdem war sie mindestens doppelt so alt wie Lou. Irritiert musterte sie ihr Gegenüber einen Moment, lächelte dann und bot Platz an. »Ich bin ein wenig im Stress und würde gerne gleich zur Sache kommen und mir deine Arbeiten ansehen.«
»Ja klar.« Lou zog das MacBook aus der Tasche und startete es.
Franziska Wenzels Brauen zogen sich zusammen. »Hast du keine Mappe dabei? Keine Ausdrucke?«
Shit! Wieso war sie nicht auf diese Idee gekommen? Lous Hände wurden feucht. Hatte sie sich die Chance schon versaut? Ihr blieb nur die Flucht nach vorne. »Ich habe mir gedacht, ich zeige Ihnen Ratzfatz, also die Schülerzeitung, auf dem Laptop. Da können Sie ja viel besser beurteilen, wie gut ich mit InDesign schon umgehen kann.«
»Du kannst InDesign?«
»Ja, klar. Und Photoshop und Illustrator. Also nicht perfekt… Grundkenntnisse halt. Bis auf InDesign. Da bin ich schon ein wenig besser. Ich habe zwei Ausgaben der Schülerzeitung damit gemacht.«
»Warum hast du das in deiner Bewerbung nicht geschrieben?«
Habe ich doch, dachte Lou. Offenbar waren ihre Unterlagen sofort aussortiert worden. Zu jung, kein Praktikum und schwupps weg damit auf den Absagestapel. Vermutlich war es besser, nicht darauf hinzuweisen. Inzwischen war der Rechner gestartet und Lou öffnete die Datei mit der letzten Ratzfatz -Ausgabe.
»Ja, dann zeig mal.« Franziska Wenzel drehte das MacBook zu sich, scrollte durch die Ausgabe, stellte ab und zu eine Frage und zog schließlich ihr Resümee. »Nicht schlecht. Du solltest dir angewöhnen, mit Stilvorlagen zu arbeiten und die Grundlinienrasterfunktion zu nutzen. Dann tanzen die Zeilen bei mehrspaltigem Satz nicht. Geht ganz einfach.« Sie zeigte Lou die entsprechende Funktion. »Die Bildbearbeitung hast du auch selbst gemacht?«
Lou nickte. »Also in Photoshop bin ich noch nicht so wahnsinnig fit…«
»Das ist auch ein sehr komplexes Programm. Mir gefällt, wie du an die Sache rangehst, und du hast ein gutes Gefühl für Gestaltung und vor allem für den Umgang mit Schrift. Und du bist durchsetzungsstark. In diesem Job braucht man das.«
Yes! Das hörte sich doch klasse an. »Das heißt, ich kann das Praktikum machen?«, platzte Lou heraus.
Die Brauen der Art-Direktorin zogen sich wieder zusammen, die Lippen wurden schmal. Lou wurde es heiß und kalt. Jetzt war sie wohl zu forsch gewesen.
»Solche Dinge entscheide ich nicht adhoc. Ich werde mich in den nächsten Tagen bei dir melden. Eine Frage habe ich noch. Du kommst aus Straubing und bist erst sechzehn…«
»Fast siebzehn.«
Franziska Wenzel überging diese Unterbrechung. »Sind deine Eltern denn damit einverstanden, dass du für die Zeit des Praktikums nach München ziehst? Oder willst du etwa pendeln?«
So kurz vorm Ziel blieb nur die Lüge. Lou zögerte keine Sekunde. »Meine Eltern unterstützen mich total. Und mein Onkel lebt hier. Bei dem kann ich solange wohnen.«
6
Caro warf ihre blonde Mähne über die Schultern und grinste Lou an. »Und weiß Onkel Achim schon von seinem Glück?«
»Das ist mir so rausgerutscht. Eine Familie, die zusammenhält… das klang irgendwie gut. Onkel Achim werde ich jedenfalls nicht fragen.«
»Warum?«
Lou wusste es selbst nicht so genau. »Eigentlich kenne ich ihn nicht richtig. Tante Ute und er sind schon lange geschieden. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen.« Doch da war noch etwas anderes. Ein Widerwille, der unwillkürlich in ihr aufstieg, sobald sie an ihn dachte.
»Und wo willst du dann wohnen, falls du den Praktikumsplatz bekommst?«
Gute Frage, dachte Lou und griff nach der Radlermaß, die sie sich mit Caro teilte. Der Biergarten war voll. Mit viel Glück hatten sie zwei Plätze an einem der voll besetzten Tische unter den alten Kastanien ergattert. Es roch nach Steckerlfisch und Bratwürsten. Vor den Hütten, an denen man Wurstsalat, Griebenschmalzbrote, Brezen und Obazda kaufen konnte, standen Menschentrauben an. Stimmen schwirrten durch die Sommernacht. Es wurde gelacht und geflirtet. Kinder tobten herum und ab und an bellte ein Hund. Ihre Eltern saßen jetzt vermutlich daheim auf der Terrasse und grillten. Später würde es Zoff geben.
Dem Kontrollanruf ihrer Mam war Lou zuvorgekommen und hatte während der
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