Dein Blick so kalt
sein schien, denn sie besuchte ihn häufig.
Lou folgte den Hinweisschildern zur U1 und erreichte den Bahnsteig, der rappelvoll war. Mit einem Blick auf den Übersichtsplan vergewisserte sie sich, dass sie am richtigen Bahnsteig stand. Sie hatte das zwar im Netz gecheckt, aber sicher war sicher. U1 Richtung Olympiazentrum. Nur drei Stationen bis Rotkreuzplatz. Dort musste sie raus. Alles ganz easy.
Eine Minute später rollte die U-Bahn aus dem Tunnel. Weitere fünf Minuten danach fuhr Lou mit der Rolltreppe am Rotkreuzplatz an die Oberfläche. Die Sonne brannte vom Himmel. Es war kurz nach halb eins. Ihr Magen knurrte und sie hatte noch anderthalb Stunden Zeit. Am Brunnen vor dem Kaufhaus spielten Kinder im Wasser. Die Mütter saßen auf Bänken unter Kastanien. Tauben pickten gurrend Krümel auf. Der Verkehr brauste am Rande des Platzes vorbei. Irgendwo sollte sie sich etwas zu essen holen. Ein knurrender Magen beim Bewerbungsgespräch wäre oberpeinlich. Sie sah sich nach einer Bäckerei um und entdeckte ein Stück weiter hinten eine Eisdiele. Sarcletti . Die Schrift war schwungvoll und rot. Pink oder Türkis wären besser, dachte Lou. Kalte Farben jedenfalls und nicht so ein warmes Rot. Trotzdem hatte sie auf einmal total Lust auf ein Eis. Sie ging hinüber und betrachtete die Auswahl. Wahnsinn! Sicher fünfzig verschiedene Eissorten. Sie konnte sich kaum entscheiden und kaufte dann Schokoeis. Fünf verschiedene Sorten gab es davon! Obendrauf einen Klecks Sahne. Lou ging mit ihrem Mittagessen zu einer freien Bank beim Brunnen und genoss das quirlige Leben um sich herum, bis ihr Blick auf den Verkaufsständer mit den Zeitungen fiel.
Wo ist Danielas Mörder? Die Polizei tappt weiter im Dunkeln.
Dieser Mordfall schien sie irgendwie zu verfolgen. Zuerst ihre Mam, die ihr ständig Zeitungsartikel unter die Nase hielt, und nun war sie noch keine Stunde in München und schon stolperte sie wieder über diesen Mord. Das ist schon beinahe unheimlich, dachte Lou. Doch Morde geschahen schließlich überall. Nicht nur in München. Dennoch schaute sie sich unwillkürlich um. Nur spielende Kinder und ihre Mütter. Kein Grund zur Panik. Beruhigt aß sie das Eis fertig.
Danach erkundete sie die Umgebung und näherte sich dabei langsam ihrem Ziel, der Agentur Döhrig Communications in der Bothmerstraße. Unterwegs entdeckte sie ein Biofastfood-Restaurant mit einem tollen Angebot an vegetarischen Gerichten. Allerdings waren die Preise schwindelerregend. Als Praktikantin würde sie sich das nicht leisten können. In einer Seitenstraße befanden sich zwei Trödelläden. Einer davon verkaufte Secondhandklamotten aus den Zwanziger- bis Siebzigerjahren. Leider hatte er geschlossen. Und das war gut so. Sie musste ihr Geld schließlich zusammenhalten!
Erst als sie pünktlich um zwei Uhr vor dem Jugendstilhaus in der Bothmerstraße stand, an dem ein Schild aus Plexiglas angebracht war, Döhrig Communications GmbH, 1. OG, schlug ihr das Herz plötzlich bis zum Hals. Sie wurde vor Aufregung ganz hibbelig und ihr Mund ganz trocken. Sie schloss kurz die Augen und straffte die Schultern. Wirst schon sehen, Pa, dachte sie. Ich bekomme diesen Praktikumsplatz.
Entschlossen trat sie ein, ging über eine knarrende Treppe in die erste Etage und öffnete die Tür, neben der dasselbe Plexiglasschild hing wie unten. Nur kleiner und ohne den Zusatz 1.OG.
Wow! Lou stand beeindruckt im Empfangsbereich. Hohe helle Räume mit Stuckverzierung. Moderne Büromöbel. Gerahmte Plakate eines Snowboardherstellers an der Wand. Grauer Velours dämpfte Lous Schritte. Rechts war eine Art Theke, dahinter stand eine junge Frau an einem Kopierer. Sie sah hoch, als sie Lou bemerkte. Rastalocken, Vintagehemd, Jeansshorts und Stiefel. Ziemlich lässig. Lou fühlte sich plötzlich overdressed und fehl am Platz in ihrem seriösen Outfit. Total uncool.
»Ja, bitte?«
Lou gab sich einen Ruck. »Louise Meerbusch. Ich habe einen Termin bei Frau Wenzel.«
Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. »Gunda Reinelt. Wir haben neulich telefoniert. Ich sag Franziska Bescheid.« Sie kam hinter dem Tresen hervor, verschwand in einem Zimmer und kehrte kurz darauf zurück. »Wir gehen in den Konfi. Franziska kommt gleich.«
Lou folgte ihr in den Konferenzraum. Pinke, grüne und knallblaue Stühle aus Kunststoff standen auf grauem Teppichboden um einen Tisch aus Acrylglas. Sie waren aus einem Stück geformt und sahen irgendwie abartig teuer aus. Einen Moment später ging die
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