Dein Blick so kalt
Frau, die aus dem Hochhaus gesprungen ist, wirklich um die Zeugin handelt, ändert das so einiges.«
»Das ist sie. Ganz sicher.«
»Ich glaube dir ja. Jedenfalls werden wir uns diesen Suizid genau ansehen.«
»Und was ist eigentlich mit den Schlüsseln? Seid ihr da weitergekommen?«
Ein Seufzen klang durchs Telefon und das Klappern von Geschirr. Offenbar war Meo aufgestanden und machte sich einen Kaffee. »Dir ist schon klar, dass ich meinen Job riskiere, wenn ich Ermittlungsergebnisse weitergebe.«
»Ich halte meinen Mund.«
»Wehe, wenn nicht.«
»Du weißt, dass ich schweigen kann.«
Das Röcheln der Kaffeemaschine drang an Lysanders Ohr.
»Also gut. Hausmeister haben grundsätzlich keine Schlüssel zu den Wohnungen. Aus haftungstechnischen Gründen. Die Hausverwaltung auch nicht. Wobei es vorkommt, dass Mieter einen Schlüssel nachmachen lassen, weil sie einen verloren haben, und dann taucht der verloren geglaubte wieder auf. Einem der Vormieter von Lous Wohnung ist genau das passiert. Beim Auszug hat er alle drei Schlüssel bei der Hausmeisterin abgegeben und die hat sie bei der Hausverwaltung abgeliefert. Doch dort ist der dritte nicht. Eine Mitarbeiterin hat in den Unterlagen nachgesehen. Der Schlüssel wurde an einen Vertreter der Eigentümerin übergeben.«
»An einen Vertreter der Eigentümerin?«
»An ihren Exmann. An Onkel Achim.«
»Shit!«
»Eben. Aber wie gesagt: Das weißt du nicht.«
»Und was sagt er dazu?«
»Na, was schon? Er hat nie einen Schlüssel bekommen.«
»Habt ihr ihn bei ihm gefunden?«
»Bis jetzt nicht. Trotzdem wird es eng für ihn. Jede Menge Beweise. Für meinen Geschmack inzwischen zu viele und jetzt noch der Selbstmord der einzigen Zeugin… Mal gucken, wie Mertens das sieht.«
»Und Lou?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Meo diese Frage beantwortete. »Die Suche nach ihr läuft mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.«
Er klang wie ein Polizeibeamter. Lysanders Unruhe machte sich Luft. »Und was heißt das genau? Nasebohren. Auf irgendeinen Wisch warten, auf den ihr dann einen Stempel klatschen könnt. Oder was?«
»Cool down«. Meo setzte an weiterzusprechen, doch er schwieg. Eine Weile war es still. Lysander wurde hellhörig. Irgendwas lief offenbar. »Was?«, fragte er.
Er hörte Meo atmen. »Sorry. Das kann ich echt nicht sagen. Das geht zu weit.«
»Was? Jetzt sag schon. Habt ihr einen Hinweis?«
»Nee, eine Idee. Trotzdem, Lysander. Eine bevorstehende Operation kann ich nicht verraten. Echt nicht. Ich muss jetzt Schluss machen.« Ehe er sich versah, hatte Meo aufgelegt.
Eine bevorstehende Operation? Eine Idee? Was lief da?
Und wer schob Onkel Achim die Beweise unter? Das konnte nur jemand sein, der Zugang zu beiden Wohnungen hatte. Der dritte Schlüssel war bei Achim nicht gefunden worden. Hatte die Hausmeisterin ihn gar nicht abgegeben? Oder ihr Sohn? Ben, der Grottenolm. Lou fand ihn total unheimlich. Das hatte sie ihm mehrmals gesagt. Solange Mertens und Russo Onkel Achim für den Täter hielten, würde nichts passieren. Wertvolle Zeit ging verloren. Zeit, die sie nicht hatten. Lysander klappte den Laptop zu und stand auf. Er musste etwas tun. Und endlich wusste er auch, was.
66
Er schwang sich aufs Rad und trat in die Pedale. Die Bewegung half ihm, seine Angst im Zaum zu halten, seine Nervosität in Energie umzuwandeln und die Hoffnung zu stärken, er könnte Lou finden. Es war halb acht Uhr morgens, als er an der Tür der Hausmeisterwohnung klingelte, die sich im Erdgeschoss von Haus eins befand.
Während er noch wartete, dass jemand öffnete, fuhr ein knallroter Lieferwagen vor. Rohrreinigung München. 24-h-Notdienst.
Lysander klingelte noch einmal. »Bin schon da.« Schritte näherten sich. Die Frau, die öffnete, erinnerte ihn an seine ehemalige Mathelehrerin. Rabenschwarz gefärbte Haare, Augenbrauen wie Balken. Eine ausgemergelte Gestalt. Elvira Pagel trug Jeans und ein verwaschenes T-Shirt. Zwischen den Fingern klemmte eine qualmende Kippe. Verwundert musterte sie ihn, als hätte sie jemand anderen erwartet. »Was gibt es?« Ob die heisere Stimme vom Rauchen oder Saufen kam, konnte Lysander nur raten.
Er setzte ein freundliches Gesicht auf. Am besten tat er, als würde er Ben kennen. »Guten Morgen, Frau Pagel. Ich bin Lysander. Kann ich Ben sprechen?«
Elvira Pagel blickte über Lysanders Schulter. Hinter ihm schlug die Tür des Lieferwagens zu. Ihre Gesichtszüge entspannten sich. »Gut, dass Sie endlich da sind.«
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