Dein Blick so kalt
uniformierte Polizisten stiegen aus. Ein großer schlanker Rothaariger und ein untersetztes Muskelpaket mit polierter Glatze. Er zog den Hosenbund hoch und ging auf Lysander zu. »Hast du angerufen?«
Lysander nickte.
»Du wartest hier unten. Verstanden?«
»Okay.«
»Und Sie kommen mit uns, bleiben aber in sicherem Abstand, bis wir die Wohnung geöffnet und gesichert haben.« Das galt dem Notarzt und den beiden Rettungsassistenten, die inzwischen ihr Fahrzeug verlassen hatten. Fünf Mann verschwanden im Haus und fuhren mit dem Lift nach oben. Die Haustür hatte sich nicht ganz geschlossen. Der Stein klemmte noch dazwischen, mit dem Lysander sie offen gehalten hatte, damit Polizei und Rettungskräfte hineinkonnten.
Ohne lange zu überlegen, nahm Lysander die Treppe nach oben. Das Klopfen und Klingen an Bärs Wohnungstür hörte er bereits in der dritten Etage. Als er in der vierten ankam, spähte er um die Ecke in den Flur. Der untersetzte Polizist nahm Anlauf und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Holz knirschte und splitterte. Ein Fußtritt und der Zugang zur Wohnung wurde frei. Mit gezogenen Waffen traten die beiden ein.
»Notarzt kann kommen«, schallte es Sekunden später heraus.
Der Notarzt und sein Team eilten herbei. Lysander wartete vielleicht zwei oder drei Minuten dann hielt er es nicht länger aus und betrat die Wohnung. Linker Hand war das Wohnzimmer. Dort beugte sich der Arzt über einen Mann, der am Boden lag. »Scheiße! Was ist denn das für ein Blutzuckerwert.« Er lies das Testgerät fallen, schlug Bär ins Gesicht. »Hallo! Herr Bär, wach bleiben! Wir kriegen das in den Griff.« Doch Bär verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. »Verdammt! Der rutscht uns ins Zuckerkoma. Infusion! Aber zackig und dann ab auf die Intensiv. Wer hat was frei?«
»Großhadern«, sagte der Rettungsassistent, der bereits den Zugang am Handrücken legte. Der andere holte einen Infusionsbeutel hervor.
Lysander drängte sich an den Polizisten vorbei und ging vor Bär auf die Knie. »Herr Bär? Hören Sie mich?«
Ein Stöhnen war die Antwort.
»Wo ist Lou? Wohin haben Sie sie gebracht?«
»Der hört dich nicht«, sagte der Notarzt.
»Habe ich nicht gesagt, du sollst unten warten.« Das kam vom bulligen Polizisten.
»Bitte. Wo ist Lou?« In seiner Verzweiflung rüttelte Lysander Bär an den Schultern.
»Jetzt ist aber Schluss mit lustig.« Der Arzt sah zum Rothaarigen hoch. »Können Sie mal dafür sorgen, dass wir unsere Arbeit machen können?«
Ehe Lysander sich versah, packte der Polizist ihn am Arm und zog ihn weg, hinaus in den Wohnungsflur. »Es hat keinen Sinn. Der Mann ist bewusstlos.«
»Aber Lou… er hat sie entführt und irgendwo eingesperrt. Wenn er nun… wenn er nicht wieder zu Bewusstsein kommt, wenn er stirbt…«
»Der wird schon wieder.« Die Stimme des Rothaarigen wirkte beruhigend. »Außerdem werden sich die Kollegen von der Kriminalpolizei die Wohnung vornehmen und sicher einen Hinweis finden, wo der Kerl das Mädchen versteckt hat. Also keine Panik.«
Keine Panik. Das sagte er so. In Lysander brodelte es. Das Gefühl, dass es um Minuten ging, überwältigte ihn. Was konnte er tun? Nichts. Nichts. Nichts. Er fühlte sich ohnmächtig. Verzweifelt sah er sich um. Die Tür zu einem Zimmer stand einen Spaltbreit offen. Lysander erspähte ein Stück Schreibtisch mit PC. Auf dem Monitor zogen Wolken über einen blauen Himmel. Der Bildschirmschoner lief.
»Stimmt. Sie haben recht. Panik hilft auch nicht weiter. Ich gehe dann mal nach unten und warte auf meinen Bruder.«
Auf dem Gesicht des Rothaarigen breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus. »Das ist vernünftig.«
Lysander verließ die Wohnung und lehnte sich im Flur neben der eingetretenen Tür an die Wand. Der Rothaarige ging ins Wohnzimmer. Lautlos kehrte Lysander zurück in die Wohnung, öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und zog sie leise hinter sich ins Schloss.
Mit zwei Schritten war er am Schreibtisch. Ein Bund mit unzähligen Schlüsseln lag neben der Tastatur. An der Wand hingen Fotoausdrucke. Augen, Münder, Nasenflügel. Alles stark herangezoomt. Lysander griff nach der Maus. Knisternd ging der Monitor in Betriebsstatus. Der Bildschirmschoner verblasste. Vier Aufnahmen einer Überwachungskamera erschienen gleichzeitig auf dem Bildschirm. Sie zeigte einen hell erleuchteten Kellerraum. Staubige Öltanks. Eine graue Metalltür. Ein Stück Boden, teilweise von einer Mauer verdeckt. Auf
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