Dein Blick so kalt
Lehrstelle zu bekommen. Alles für die Katz. Lou sah sich schon mit ihren Bewerbungsunterlagen bei Dr. Scholz antraben. So weit durfte es nicht kommen. Niemals!
»Warum nehmen Sie nicht zwei Praktikantinnen? Ich meine, wir arbeiten doch eh…« Beinahe hätte sie für lau gesagt, verkniff es sich aber gerade noch. »Ich meine, es entstehen doch keine Kosten, bis auf die Fahrkarte. Und ich kann doch schon etwas. In InDesign bin ich wirklich gut. Das haben Sie selbst gesehen.«
Ein leises Lachen klang durchs Telefon. »Du bist wirklich hartnäckig. Also gut, ich rede noch einmal mit meinem Chef. Vielleicht kann ich deinen Vorschlag durchsetzen. Eigentlich müsste er ihm gefallen. Er liebt Wettbewerbe. Ich meine, das ist dir schon klar, wenn wir zwei Praktikantinnen einstellen, dann befindet ihr euch im Wettbewerb um den Ausbildungsplatz.«
11
Die Sonne brannte vom Himmel. Vor den Restaurants und Cafés standen Stühle und Tische im Schatten der Marktschirme. Es war Mittagszeit und die Plätze bei seinem bevorzugten Italiener beinahe alle besetzt. Doch er hatte Glück. Ein Zweiertisch am Rand wurde frei. Ein Platz ganz nach seinem Geschmack. Er saß lieber abseits und beobachtete, als selbst im Mittelpunkt zu stehen, den Blicken anderer ausgesetzt.
Das Licht blendete ihn und versuchte, ihm vorzugaukeln, das Leben sei einfach und schön, leicht und unbeschwert. Just always look at the bright side of life. Take it easy. Doch das Leben war nicht schön und schon gar nicht einfach. Er verabscheute gleißende Helligkeit. Von klein auf liebte er Dämmerung und Nachtschatten, bewegte sich in Zwielicht und Finsternis, fühlte sich in Dunkelheit und Düsternis heimisch. Aus der Sakkotasche zog er die Sonnenbrille mit den stark getönten Gläsern und setzte sie auf, schob einen Filter zwischen sich und die anderen.
Der Kellner kam, nahm die Bestellung auf. Ein Glas Mineralwasser, Caprese, Tagliatelle mit gebratenem Lachs. Während er auf sein Essen wartete, sah er sich um. Am Tisch neben ihm unterhielten sich zwei Frauen. Tussiblond die eine, hennarot die andere. Ins Haar geschobene Armani-Sonnenbrillen alle beide. Rote Krallen und grell geschminkte Lippen, die makellos behandelte Zähne einrahmten. Sie tranken Prosecco und aßen Salat und unterhielten sich viel zu laut und viel zu abfällig über einen Kollegen.
»Demhard hat einfach keinen Mumm. Krüger sieht ihn einmal scharf an und schon gibt er klein bei, statt sich hinter uns zu stellen. Nur weil sie zusammen Golf spielen. Und so einer ist Abteilungsleiter.« Das kam von der Blonden. Verächtlich rümpfte sie die Nase, erdolchte ein Salatblatt und stopfte es in ihren gierigen Schlund.
»Von Personalführung hat er jedenfalls keinen blassen Schimmer«, meinte die Hennarote. »Gibt uns einfach zum Abschuss frei. Wie er den Posten bekommen hat, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Vermutlich ist er der Vollhardt bis dahin in den Arsch gekrochen.« Mit der freien Hand fuhr sie sich einmal quer über den Hals.
»Oder mit ihr in die Kiste gestiegen…«
»Glaube ich nicht. Der ist im Bett sicher genauso eine Null wie als Chef. Zu zögerlich, zu unentschlossen. Darauf steht die Vollhardt nicht. Die braucht echte Kerle.«
Beide lachten gackernd. Ihm wurde ganz heiß vor Wut. Solche Weiber hatte er echt gefressen. Unwillkürlich atmete er scharf aus, straffte sich. Die Tussiblonde sah zu ihm herüber. Wie sie ihn musterte. Dieser Blick. So kalt. So durchdringend, als könnte sie auf den Grund seiner Seele blicken. Er hasste ihn. Ach, du bist auch so einer. Ein kleines Würstchen. Ein Versager! Seine Hände wurden feucht. Kühle Angst füllte seinen Magen, während sich gleichzeitig ein Band um seinen Hals legte und ihm die Luft abzuschnüren begann. Ganz langsam. So wie immer. So wie damals in der Schule, wenn er an der Tafel gestanden hatte und seine Lehrerin ihn nach allen Regeln der Kunst fertigmachte, ihn sezierte, zerlegte, bis er, vergeblich gegen Tränen ankämpfend, an seinen Platz gelaufen war und seine Klassenkameraden sich johlend über die Bänke geworfen hatten.
Diese Weiber. Er hasste sie.
Er wich dem Blick der Tussiblonden aus, blickte auf die Tischdecke, fühlte sich klein und hilflos. Wieder einmal. Er war diesen Weibern ausgeliefert. Seit frühester Kindheit ging das so. Sein ganzes Leben wurde von ihnen beherrscht, von diesen taffen Weibern. Seine Mutter war so gewesen und eine der Erzieherinnen im Kindergarten und dann sechs Jahre Grund- und
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