Dein Blick so kalt
Hauptschule. Dort hatte es nur so gewimmelt von diesen selbstgefälligen Frauen, die sich für unbesiegbar hielten, die ihre Macht auskosteten, die so selbstbewusst und stark waren, dass sie weder Mitgefühl kannten noch Angst.
Schon als Kind hatte er sich ausgemalt, wie es wäre, ihre Macht zu vernichten. Er hatte sich vorgestellt, wie er Schlangen, Spinnen, Kröten und anderes Getier unter ihren Bettdecken versteckte, unter die sie ahnungslos schlüpften, um sich dann ihr Gekreische auszumalen und ihre schreckgeweiteten Augen, ihr panisches Entsetzen. Kinderfantasien eben. Doch sie hatten ihm geholfen, mit seiner Ohnmacht fertig zu werden. Damals hatte er begonnen, zwei Leben zu führen. Das kaum zu ertragende wirkliche und das seiner Rachevorstellungen.
Es war Jahre her. Inzwischen war er längst erwachsen und dabei, seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Es war wunderbar. Davon wollte er mehr.
Der Kellner kam und servierte die Pasta. Die Hennarote beobachtete ihn. An der perlweißen Krone eines Schneidezahns klebte Petersilie. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte er sich vor, seine Faust hineinzuschlagen. Doch ihr verächtlicher Blick ließ ihn im Handumdrehen zu einem angstvollen Nichts werden. Ein tonnenschwerer Druck legte sich auf seine Brust, die Hände wurden feucht, sein Herz begann zu rasen. Beschämt wandte er sich ab, stocherte in seinem Essen, doch er brachte keinen Bissen mehr herunter. Wie er sie hasste, diese Weiber!
12
Franziska Wenzel meldete sich einfach nicht. Vielleicht hatte sie sich nur herausgeredet und nie die Absicht gehabt, mit ihrem Chef zu sprechen. Warum sollte sie sich auch für Lou einsetzen? Der Praktikumsplatz war vergeben und die Art-Direktorin hatte sicher Wichtigeres zu tun, als eine Praktikumsstelle für ein Mädchen aus der Provinz durchzuboxen. Je länger Lou darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie. Und hibbeliger. Sie war mehrfach kurz davor, Franziska Wenzel einfach anzurufen oder eine Mail zu schreiben. Doch dann erschien ihr das jedes Mal zu aufdringlich und sie steckte das Handy wieder ein oder löschte die bereits geschriebene Mail.
Nach zwei Tagen, die Lou wie eine ganze Woche erschienen, kam endlich der Anruf. Sie rechnete mit der endgültigen Absage, doch die Art-Direktorin hatte gute Neuigkeiten. Julian Döhrig, ihr Chef, hatte eingewilligt. »Er meint, wenn nur eine von euch beiden den Ausbildungsplatz bekommen kann, werdet ihr euch ordentlich ins Zeug legen und euer Bestes geben. Wie gesagt: Er mag jede Art von Wettkampf. Wir sehen uns dann also am Montag nächster Woche. Pünktlich um neun Uhr.«
Die Tage bis zum Umzug vergingen rasend schnell. Lou sammelte die Sachen zusammen, die sie mitnehmen wollte, und Mam half ihr dabei. Sie besorgte einen Wasserkocher, suchte Handtücher, Bettwäsche, Geschirr und ein paar Gläser zusammen und kaufte ihr dann auch noch zwei Bücher. »Damit dir die Abende nicht langweilig werden.«
Lou verkniff sich eine Bemerkung. Das war ja eigentlich ganz süß von Mam, doch abends würde sie ganz sicher nicht in Tante Utes Wohnung herumsitzen und lesen. Zwei Monate München! Die wollte sie voll und ganz auskosten. Leute kennenlernen und die Stadt erkunden. Schwabing, Haidhausen und das Glockenbachviertel. Kneipen und Cafés, Klubs und Läden, einfach alles. Doch das sagte sie natürlich nicht. Stattdessen bedankte sie sich artig und packte die Bücher ein.
Am Samstag um neun fuhren Caro und Ferdi mit dem Lieferwagen des Blumengeschäfts vor und halfen Lou, ihn zu beladen. Auch ihr Rad kam mit an Bord. So sparte sie das Geld für die Monatsfahrkarte. Als sie gerade fertig waren, erschien Tante Ute und brachte Wohnungs- und Hausschlüssel. »Onkel Achim weiß Bescheid und wird auch da sein. Vergiss nicht, mit der Hausmeisterin ein Übergabeprotokoll zu machen. Und hier ist das Geld für die Wandfarbe und sonstige Malutensilien. Die Rechnung hebst du bitte auf und gibst sie mir, wenn wir uns das nächste Mal sehen.« Mit diesen Worten drückte sie Lou hundert Euro in die Hand, umarmte sie und wünschte ihr eine schöne Zeit in München.
Pa stand mit versteinerter Miene etwas abseits und schaute missbilligend zu. Mam füllte eine Thermoskanne mit Eistee für die Fahrt und belegte einen Berg Sandwiches. Als ob eine Weltreise bevorstand. Dabei war München nicht einmal zwei Fahrstunden entfernt.
Als es dann Zeit war, sich zu verabschieden, hatte Lou plötzlich einen Knödel im Hals. Sie umarmte erst ihre Mam und
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