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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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wischte sich den Mund mit der Serviette ab und legte sie beiseite.
    »Ein wenig humorlos, die junge Dame.« Er klang verärgert.
    Eine Steilvorlage für Sylke. »Wahrscheinlich hat sie ihn überhaupt nicht verstanden, die Unschuld vom Lande.« Ein Kichern schüttelte sie. Doch Julian stimmte nicht ein. Er sah Lou einfach an. Abwartend, taxierend.
    Sie war froh, als das Essen endlich beendet war. Für die Rückfahrt kletterte sie bereitwillig auf den Notsitz und bemerkte an einer roten Ampel, wie Julian seine Hand auf Sylkes nacktes Knie legte. Sie ließ ihn gewähren. Lou wurde es beinahe übel. Sie würde sich das nicht bieten lassen. Julian war mindestens zwanzig Jahre älter. Er könnte Sylkes Vater sein. Doch die Übelkeit hatte noch einen anderen Grund. Es wurde längst nicht mehr mit fairen Mitteln um die Lehrstelle gekämpft. Hier ging es nicht mehr alleine darum, wer die bessere Praktikantin war. Es ging darum, wer sich mehr von Julian bieten ließ. Schlimmstenfalls, wer bereit war, sich von ihm betatschen zu lassen und vielleicht sogar mehr. Und diese Vorstellung war nicht nur ekelhaft, sie unterlief auch Lous Gerechtigkeitsgefühl. Das war einfach nicht gerecht. Gleichzeitig wusste sie, dass sie nichts machen konnte. Außer zu versuchen, sich möglichst aus der Schusslinie zu halten und natürlich weiterhin in der Agentur ihr Bestes zu geben.
    Genau das machte sie am Nachmittag. Sie hängte sich noch mehr rein als bisher, überlegte, wie man die Plakate eventuell verbessern konnte, und machte Peter einen Vorschlag für den Umgang mit den Bildern. Ein wenig enger ran und noch ein wenig drehen und dann sah es noch dynamischer aus. Mit dieser Idee rannte sie offene Türen ein. Peter gefiel die Anregung. Er zeigte Lous Entwürfe Franziska und die ging damit zu Julian. Und das hatte nun zur Folge, dass er Lou in sein Büro rief.
    Etwas zögerlich betrat sie das Zimmer und ließ sicherheitshalber die Tür offen. Julian stand vor einer Magnetwand, an die er die Entwürfe geheftet hatte, und betrachtete sie. »Du hast einen guten Blick für Proportionen, Spannung und Dynamik. Sehr schön. Nur hier…«, er trat dicht neben sie und deutete auf einen Entwurf. »Hier würde ich den Bildausschnitt nicht so eng wählen. Das Logo des Herstellers sollte man schon noch sehen.« Er ließ die Hand fallen und strich dabei über Lous Po. Sie fuhr zusammen. Eine Lawine an Emotionen und Gedanken überrollte sie. Das konnte jetzt eine unabsichtliche Berührung gewesen sein. Oder das genaue Gegenteil. Eher Letzteres. Was sollte sie tun? Wenn sie ihn zur Rede stellte, würde er entweder alles abstreiten. Eine harmlose zufällige Berührung. Stell dich nicht so an. Und schwups stünde sie als hysterische Kuh da. Oder er würde sich über sie lustig machen. Das war doch nur Spaß, du kleine Mimose.
    Während sie das Für und Wider eines Einspruchs überlegte, war der Moment bereits verstrichen, in dem er möglich gewesen wäre.
    Mit gemischten Gefühlen radelte Lou am Abend nach Hause. Vielleicht war sie tatsächlich empfindlicher als andere. Was sollte sie tun, wenn so etwas noch einmal geschah? Ihm auf die Finger hauen? Ihn zur Rede stellen? Wenn sie es sich mit ihrem Chef verdarb, dann konnte sie den Ausbildungsplatz vergessen. Die Berührung am Po konnte wirklich ein Versehen gewesen sein, ganz ungewollt, und schlüpfrige Witze waren ja nicht wirklich schlimm. Sie mochte sie nicht. Andere schon. Kein Grund, einen Aufstand zu machen.
    Als Lou das Rad ankettete, hoffte sie inständig, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholten. Sie nahm den Rucksack aus dem Korb, ging auf die Eingangstür zu und hatte plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Von einer Sekunde auf die andere war es da. Ein kalter Blick. Sie konnte ihn fühlen und drehte sich um.
    Weiter hinten, unter einer Kastanie stand Ben Pagel. Unverwandt starrte er zu ihr herüber. Ein pickliger Kerl mit fahlem Teint. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Die feinen Haare auf den Unterarmen richteten sich auf. Irgendwie fand sie ihn gruselig. Doch sie wusste nicht, woher das kam. Eigentlich hatte er sich ihr gegenüber bisher höflich und korrekt verhalten.

23
    Zu ihrer großen Erleichterung hielt Julian sich mit weiteren schlüpfrigen Witzen und zufälligen Berührungen zurück. Jedenfalls ihr gegenüber. Seine Hand lag dafür häufig auf Sylkes Schulter, rutschte schon mal über den Rücken abwärts, und einmal, als Lou von der Toilette kam und die angelehnte Tür

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