Dein Blick so kalt
während er das Bild eingehend betrachtete. Auch Lou studierte es. Was meinte Julian wohl? Sah doch gut aus.
»Die Titten hängen. Siehst du das nicht?«
Bei diesem Wort zuckte Lou unwillkürlich zusammen und trat einen Schritt zurück.
»Hör mal, das ist kein Push-up, sondern ein Sport-BH. Da geht es nicht um die Auslage.« Der Fotograf grinste.
»Die sehen aber schlaff aus. Ich hätte da lieber Lous knackige Früchtchen.« Ehe Lou sich versah, grabschte Julian ihr an die Brust.
»Geht’s noch!«, schrie sie ihn an. Sie schlug seine Hand weg. Ganz instinktiv. Ihr Herz klopfte bis in den Hals. Adrenalin flutete jede Zelle. Ihr ganzer Körper begann zu zittern.
»He Mädchen. Sei doch nicht so zimperlich. Verstehst du etwa keinen Spaß?« Julian zog lachend die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
»Ein Mimöschen.« Wolfgang grinste und schlug sich dann die Hand vor den Mund. »Oh. Das böse Wort. Mös…chen.«
Lou wurde schlagartig schlecht. Im wahrsten Sinn des Wortes hätte sie jetzt kotzen können. So was von! Und vor allem heulen. Doch diese Blöße würde sie sich nicht geben. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stieß mit Heidi, der Stylistin zusammen, die unbemerkt hinter sie getreten war und den Arm um sie legte. »Komm.«
Völlig benommen folgte Lou ihr in die Garderobe und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Da, trink einen Schluck.« Heidi hielt ihr eine Wasserflasche hin. »Manche Männer sind einfach Idioten. Nimm dir das nicht zu Herzen und halte in Zukunft Abstand. Ja?«
Lou nickte und beruhigte sich langsam. Das Shooting ging weiter, als wäre nichts gewesen, und Lou achtete darauf, möglichst viel Distanz zu Julian und Wolfgang zu wahren. Am späten Nachmittag waren sie fertig. Julian musste noch zu einem Termin und fragte ganz unbefangen, ob Lou mit der U-Bahn zurück zur Agentur fahren könnte. Es klang, als hätte er den Vorfall bereits vergessen, und sie war natürlich heilfroh, nicht zu ihm ins Auto steigen zu müssen. »Klar. Ist kein Problem.«
Als sie abends heimkam, warf sie sich aufs Bett. Ein wahres Gefühlschaos tobte in ihrem Innersten. Wut, Zorn und Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht mischten sich mit Scham und Ekel. Sie war ja so was von dämlich! Wie hatte sie nur glauben können, Julian würde sie in Ruhe lassen und sich mit seinem Gegrabsche auf Sylke beschränken? Und außerdem war es total gemein und unfair von ihr, das zu hoffen. Dass er Sylke betatschte. Auch wenn sie Sylke mit Üps nicht mochte, solche widerwärtigen Übergriffe wünschte sie niemandem.
Was sollte sie jetzt tun? Den Praktikumsplatz sausen lassen? Niemals!
Allerdings war sie gerade mal zwei Wochen in der Agentur, wenn das nun die ganze Zeit so weiterging? Bei dieser Vorstellung wurde ihr erst recht schlecht.
Sollte sie mit ihren Eltern reden? Doch die Idee verwarf sie gleich wieder. Pa würde ihrem Chef garantiert nicht die Leviten lesen. Er würde sich bestätigt fühlen und verlangen, dass Lou das Praktikum beendete und nach Straubing zurückkehrte. Und im Vergleich zu dieser Aussicht war das Gegrabsche fast das kleinere Übel. Sollte sie Onkel Achim ins Vertrauen ziehen? Vielleicht konnte er Julian einnorden? Sie war kurz davor, ihn anzurufen, doch dann verwarf sie die Idee wieder. Onkel Achim würde das in seiner Funktion als Babysitter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Tante Ute erzählen und sie würde sich möglicherweise verpflichtet fühlen, ihre Eltern zu informieren. Denn harmlos waren diese Übergriffe nicht.
Shit! Sie hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Lou steckte das Handy wieder ein. Sie würde Julian einfach aus dem Weg gehen und versuchen, das Praktikum irgendwie durchzustehen. Ob sie allerdings die Lehrstelle noch haben wollte, da war sie sich wirklich nicht mehr sicher.
26
Am nächsten Tag – es war schon der Mittwoch ihrer dritten Praktikumswoche – beschloss Lou, mit Sylke über Julian zu reden. Vielleicht gelang es ihnen ja gemeinsam, etwas zu ändern. Als sie Sylke kurz vor der Mittagspause fragte, ob sie nicht zusammen was essen gehen wollten, erntete sie zunächst einen verwunderten Blick, dann ein lang gezogenes »Okay! Wohin sollen wir gehen? Etwa zu McDonalds?«.
Lou ignorierte den ironischen Tonfall. Sie hätte sich lieber unterwegs ein Sandwich gekauft und es auf einer Parkbank gegessen. Doch Sylke, der verwöhnten Tochter reicher Eltern, war diese Art von Mittagspause fremd. Während Lou noch überlegte, schaffte Sylke Tatsachen.
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