Dein Blick so kalt
nicht. Bei diesem Gedanken legte sich ein Gewicht wie ein kühler Stein in ihren Magen. Sie fand ihn jedenfalls mehr als nur nett. Beinahe war sie froh, als das Wochenende rum war und sie sich wieder mit Arbeit ablenken konnte.
Lysander meldete sich nicht. Er tat so, als hätte ihre Mail ihn nie erreicht. Doch je länger er sich nicht rührte, umso mehr musste sie an ihn denken. Was sollte sie tun? Jem um Lysanders Handynummer bitten? Oder ihm noch eine Mail schreiben? Vielleicht: He, ich finde dich supernett, und wenn ich an dich denke, segle ich auf einer Wolke aus Träumen dahin und alle Sorgen atomisieren sich. Und Sorgen habe ich echt genug.
Das konnte sie doch nicht machen.
Caro war leider auch keine große Hilfe. Sie war zwar von der Hüttentour zurückgekehrt, aber viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Josh hatte sich in eine andere verliebt, in Lisa, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Und Caro litt derart, dass es für sie nur drei Themen gab: Josh, die blöde Lisa und ihr eigenes Gefühlschaos. Bei ihr konnte Lou sich also momentan nicht ausheulen.
Zu allem Überfluss fing Julian auch noch Spielchen an. Offenbar seine Rache für ihre Reaktion auf seine Grabscherei im Fotostudio. Statt ihr klipp und klar zu sagen, dass das Praktikum für sie gelaufen war, lobte er Sylke in den Himmel und nahm sich sogar Zeit, ihr Funktionen der einzelnen Programme zu erklären. Deshalb hielt er sich häufiger als sonst im Büro der Kreativen auf und Lou fiel auf, dass er manchmal unkonzentriert wirkte, irgendwie fahrig. Und einmal beobachtete sie, wie seine Hand zu zittern begann. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er wohl Alkoholiker war. So wie der Vater von Yvonne, mit der sie in die Realschule gegangen war. Seine Hände hatten auch oft so gezittert. Dann hatte er etwas getrunken und das Zittern war weg gewesen. Als Julian den Raum verließ und ein paar Minuten später zurückkehrte, war das Zittern verschwunden und Lou fühlte sich in ihrer Vermutung bestätigt. Noch ein Grund, keinesfalls in sein Auto zu steigen!
Am Donnerstag kam er in die Grafikabteilung, streifte Lou wieder einmal mit diesem oberflächlichen und kühlen Blick, den er seit der Sache im Fotostudio für sie übrig hatte, und steuerte auf Sylke zu. »Hast du Lust, zum Messebauer mitzukommen und anschließend in die Druckerei? Es ist Zeit für einen umfassenden Einblick in die Abläufe einer Werbeagentur.«
Sylke flötete ein zustimmendes Ja, klar! – dabei gelang es ihr tatsächlich, Lou gleichzeitig einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.
Am liebsten hätte Lou geheult. Es war einfach ungerecht! Was nützte es, wenn Peter sagte, Sylke sei längst nicht so gut wie sie? Darum ging es doch gar nicht. Wer die Lehrstelle bekam, war längst entschieden. Auch wenn Sylke einen hohen Preis dafür zahlte. Denn Julians Grabbelfinger hielten sicher nicht still. Nur achtete er darauf, dass niemand das mitbekam. Die Tür zu seinem Büro war neuerdings zu, wenn Sylke drin war. Eigentlich konnte Lou ihren Krempel packen und zurück nach Straubing fahren. So sah es aus! Doch sie wollte nicht aufgeben. Die Lehrstelle würde sie nicht bekommen. Das hatte sie kapiert. Aber wenn sie einen anderen Ausbildungsplatz ergattern wollte, dann war ein Praktikum Voraussetzung dafür. Die Hälfte hatte sie beinahe schon geschafft. Den Rest würde sie auch noch durchstehen.
In all diesem Mist erschien dann doch noch ein Sonnenstrahl. Am Freitagnachmittag klingelte Lous Handy. Die Nummer kannte sie nicht, sie nahm das Gespräch aber an.
»Hi Lou, Lysander hier.«
Ein freudiger Schrecken durchfuhr sie.
»Jem hat mir deine Nummer gegeben. Das ist doch in Ordnung?«
»Ja. Klar. Hat er längst gebeichtet.«
»Hast du heute Abend schon was vor?«
»Muss mal meinen Terminkalender checken.« Grinsend schwieg sie einen Augenblick. Träumte sie gerade oder war Lysander echt dabei, ein Date mit ihr auszumachen? »Sieht gut aus.«
»Sollen wir uns im Nymphenburger Schlosspark treffen? An der Badenburg. Ich meine, das wäre eine passende Location, um für den Sommernachtstraum zu proben.«
»Klingt gut. Wann?«
»So um sieben, wenn dir das passt.«
»Prima. Ich bin da.«
»Ich freu mich. Auf dich.«
Als Lou kurz nach fünf nach Hause radelte, dachte sie über den Punkt nach. Lysander hatte nicht gesagt Ich freue mich auf dich. Sondern Ich freue mich. Auf dich. Er hatte auf dich betont. Ihre Hirnwindungen mussten
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