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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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sein. Oder doch nicht?
    Verunsichert startete sie das MacBook erneut, wartete ungeduldig, bis es hochgefahren war, und öffnete das Mailprogramm. Especially for you. So lautete der Betreff.
    Und so lautete auch der Text am Beginn des Films. Ganz sicher. Da hatte you gestanden und nicht Lou. Doch sie wollte sichergehen und klickte auf den Link. Firefox startete. Eine weiße Seite erschien. Not found. The requested URL/404 was not found on this server.
    Lou starrte auf den Bildschirm. Entweder war der Link plötzlich defekt oder jemand hatte das Video gelöscht.

29
    In dieser Nacht schlief Lou schlecht. Sie träumte von finsteren Höhlen und Knochenbergen und wachte immer wieder schweißgebadet auf. Sie war froh, als es endlich hell wurde. Um kurz nach halb acht schälte sie sich aus dem Bett und wollte ins Bad gehen, als es an der Wohnungstür klingelte. Wer wollte so früh etwas von ihr? Sie spähte durch den Spion und entdeckte Onkel Achim.
    In der letzten Woche hatte er tatsächlich auf jegliche Kontrollanrufe verzichtet und sich auch sonst rar gemacht. Sie öffnete die Tür. »Hi Onkel Achim.«
    »Einen wunderschönen guten Morgen, Louischen.«
    »Sag doch einfach Lou.«
    »Erst, wenn du endlich den Onkel weglässt.«
    »Okay. Das ist ein Deal.«
    Während sie sich noch ganz zerknautscht fühlte und mit T-Shirt und nackten Beinen vor ihm stand, war er offenbar gerade den Seiten der GQ entstiegen. Frisch geduscht und nach teurem Rasierwasser duftend. Der Anzug, dessen Sakko er lässig in der Hand trug, sah neu und abartig teuer aus. Sein Hemd war blütenweiß und faltenlos.
    »Was gibt es denn so früh am Morgen?«
    »Ich will nur sehen, wie es dir geht, und damit meiner Pflicht genügen. Alles in Ordnung? Oder gibt es Probleme?«
    Heute hatte sie noch an keine ihrer Sorgen gedacht. Doch mit dieser Frage waren sie plötzlich alle wieder da. Der doofe Wettbewerb mit Sylke, Julians Grabbelfinger, die Tatsache, dass Lysander sie offenbar nur nett fand, mehr leider nicht. Und dann noch die seltsame Mail von gestern Abend. Doch wenn sie sich nun wegen Julian oder der Mail bei Onkel Achim ausheulte, würde er sicher sofort Tante Ute Bericht erstatten und sie würde mit Mam darüber quatschen und die mit Pa und der würde darauf bestehen, dass sie ihre Siebensachen packte und heimkam. »Was für Probleme denn? Mir geht es super.« Lou hörte selbst den falschen Tonfall in ihrer Stimme und registrierte, wie Onkel Achims rechte Augenbraue ein wenig in die Höhe stieg.
    »Irgendetwas ist aber doch.«
    Das kleinste Übel konnte sie ihm ja servieren. Er würde sich damit abspeisen lassen und Ruhe geben. Lou zuckte betont lässig die Schultern. »Meine Mitpraktikantin nervt. Sie will einen Zickenkrieg beginnen. Aber ich lasse mich nicht darauf ein.«
    »Verstehe.« Onkel Achim nickte und sah erleichtert aus. Nichts, worum er sich kümmern musste. »Gute Strategie. Lass dich da nicht in etwas hineinziehen. Und mit der Wohnung ist alles in Ordnung? Oder soll ich Ben vorbeischicken?«
    Bei der Vorstellung des Grottenolms in ihren vier Wänden schüttelte es Lou beinahe. »Nee. Danke. Passt alles. Wenn ein Wasserrohr bricht, rufe ich dich an.«
    Onkel Achim lachte. »In diesem Fall rufst du erst Frau Pagel an und dann mich. Sie weiß, wo der Haupthahn ist.« Er verabschiedete sich schmunzelnd. Lou zog sich an, trank noch schnell einen Kaffee und radelte in die Agentur.
    Während der Fahrt fiel ihr das Video wieder ein. Echt komisch. Die Panik der letzten Nacht war verflogen und Lou sah das jetzt schon etwas nüchterner. Die Mail musste versehentlich bei ihr gelandet sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Und falls sie doch kein Irrläufer war, dann hatte sich jemand einen dämlichen Scherz erlaubt. Doch wer?
    Vielleicht Julian! Der Gedanke war plötzlich da. Obwohl… der hätte eher einen Schmuddelfilm verlinkt. Die Mail war also irrtümlich bei ihr gelandet. So etwas kam vor. Sie beschloss, die Sache damit endgültig abzuhaken.
    In der Agentur lief ihr prompt als Erster Julian über den Weg. Besser gesagt: Er lehnte an der Kaffeetheke, trank einen Cappuccino und blätterte in einer Zeitschrift. Lou entschloss sich, ihren inzwischen obligatorischen Neun-Uhr-Milchkaffee später zu holen, wenn Julian in sein Büro verschwunden war. Im Stechschritt ging sie mit möglichst viel Abstand an ihm vorbei und wünschte einen guten Morgen. Schließlich war er ihr Chef. Das Grafikzimmer lag verlassen vor ihr. Noch keiner da, außer ihr.

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