Dein Blick so kalt
Sie fuhr ihren Mac hoch und überlegte kurz, ob sie wegen Julian mit Franziska reden sollte oder mit Gunda. Doch was sollte das bringen? Vermutlich würden die beiden denken, dass sie zimperlich und übersensibel sei, eben ein biederes Rührmichnichtan, das etwas total Harmloses aufbauschte. Und seit Dienstag, als sie ihn in die Schranken gewiesen hatte, benahm Julian sich ja vorbildlich.
Lou machte das Fenster auf und setzte sich. Der Mac war gestartet. Sie öffnete eine Bilddatei, die sie retuschieren sollte, und machte sich ans Werk. Am Wochenende kam Caro von der Hüttentour zurück. Mit ihr konnte sie das Thema Julian bequatschen und überlegen, wie sie sich am besten verhielt, falls er seine Finger nicht unter Kontrolle behielt.
Nach und nach trafen die anderen ein. Sylke, aufgebrezelt wie immer, warf ihr einen kühlen Blick zu. Seit Lou sie gestern im Ruffini hatte sitzen lassen, herrschte Eiszeit. Peter und Mike schnappten sich ihre Laptops. Um zehn hatten sie mit Julian eine Präsentation bei einem Kunden.
Irgendwann brauchte Lou ihren Milchkaffee und ging zur Kaffeetheke. Jem meinte, das sei eine gute Idee, und folgte ihr. Während die Maschine aufheizte, lehnte er sich an den Tisch und verschränkte die Arme. »Sag mal Lou… ich habe… also, ich weiß nicht, ob das okay war«, druckste er herum.
»Was denn?«
Entschuldigend breitete er die Hände aus. »Also Lysander hat mich gestern nach deiner Mail-Adi gefragt und auch nach deiner Handynummer. Ich habe sie ihm gegeben.«
Ihr Herz machte einen Satz. Lysander! Sie versuchte, ihre Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten, um nicht wie eine glücksdebile Irre zu strahlen. Doch so ganz gelang ihr das nicht. »Klar. Ich meine, das ist in Ordnung… also das ist doch kein Problem.« Okay, das Gestammel war nun alles andere als cool gewesen.
Jem grinste. »Hatte ich gehofft.«
Der Kaffee lief in den Becher. Lou griff ihn sich. »Muss weitermachen. Peter braucht die Bilder bis Mittag.« Auf dem Weg zum Büro rief Jem ihr nach. »Lou?«
Sie musste jetzt dringend ihre Mails und SMS checken. Was wollte er denn noch? Ungeduldig blieb sie stehen. »Ja?«
»Die Milch. Du trinkst doch Milchkaffee. Oder?«
Äh? Ja! Tatsächlich! Schwarzer Kaffee schwappte im Becher. Lou musste lachen. »Normalerweise schon.« Sie machte kehrt, kippte die heiße Milch dazu, ging dann schnurstracks zurück an ihren Arbeitsplatz und rief ihre Mails auf. Tatsächlich! Eine von Lysander.
Hi Lou. Mein Vater ist begeistert. Endlich liest sein Sohn Shakespeare. Ich suche noch nach der passenden Stelle. Wenn ich sie gefunden habe, würdest du mich abfragen, damit ich mich beim Einlösen der Wette nicht total blamiere?
Gruß, Lysander
Gruß, Lysander. Das klang schon ein wenig unterkühlt. So wie die ganze Mail. Lous Herzschlag normalisierte sich, die aufgeregte Röte, die ihr ins Gesicht gestiegen war, verblasste.
Hi Lysander, antwortete sie. Klar. Mach ich. Gruß, Lou.
Einen Augenblick überlegte sie, noch zu fragen, wann und wo sie sich treffen sollten. Doch sie ließ es bleiben und klickte auf senden. Er sollte nicht denken, sie liefe ihm nach.
30
Am Freitagnachmittag rief ihre Mam an und fragte, ob Lou nicht übers Wochenende nach Hause kommen wollte. Darauf hatte sie ungefähr so viel Lust, wie sich Julians dreckige Witze anzuhören. Also wand sie sich heraus. »Onkel Achim hat mir empfohlen, eine Ausstellung im Museum Brandhorst anzusehen. Dafür habe ich nur am Wochenende Zeit.« Für einen Augenblick sah sie die Zeitungsseite mit dem Artikel vor sich. Hatte wirklich Onkel Achim sie unter der Tür durchgeschoben? Sie hatte ganz vergessen, ihn das zu fragen.
Mam akzeptierte ihre Antwort, wollte dann allerdings noch wissen, wie es mit dem Praktikum lief, und ließ sich nicht mit einem alles prima abspeisen. Tante Ute hatte erzählt, dass es wohl Probleme mit der anderen Praktikantin gab. Das wusste sie von Onkel Achim. Der Buschfunk funktionierte also bestens. Gut, dass sie diesen Testballon gestartet und mit ihren wahren Problemen hinterm Berg gehalten hatte. Sie beruhigte ihre Mam, indem sie versicherte, dass Sylke mit ihrem Zickenkrieg eine Solovorstellung gab. »Zum Streiten gehören zwei und ich mache einfach nicht mit.«
Das Wochenende verging rasend schnell. Lou traf sich mit Jem und der Clique. Lysander war leider nicht mit dabei und sie fragte nicht, warum das so war. Auf ihre Mail hatte er auch nicht reagiert. Vermutlich fand er sie wirklich nur nett und mehr
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