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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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oder lässt er seine perverse Fantasie nur an deinen Klamotten aus?«
    Lou verstand nur Bahnhof, als ob Julian plötzlich chinesisch sprach. Was meinte er? Mit unterkühltem Blick musterte er sie. Ihr blieb jede Antwort im Hals stecken.
    »Na ja, stille Wasser sind ja bekanntlich tief.« Mit diesen Worten legte er das Shirt auf den Tisch, als ob er gehen wollte. Doch er blieb dicht vor ihr stehen und nahm sie mit seinem Blick gefangen. Seine Augen kamen näher und näher. Lou erstarrte.
    »Die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht, tief ist ihr Weh-, Lust tiefer noch als Herzeleid«, sagte er leise. Ein eisiges Lächeln glitt über sein Gesicht, während Lou sich nicht traute zu atmen. »Noch mal führst du mich nicht vor. Noch ein derartiger Ausrutscher wie im Fotostudio und du wirst das bitter bereuen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.«
    Lou nickte benommen.
    Endlich verschwand Julian.
    Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und hätte heulen können. Doch sie kämpfte die Tränen nieder. Okay. Das Praktikum konnte sie knicken. Keine Sekunde länger würde sie hier bleiben. Dieser Idiot. Dieses miese Schwein. Was nahm er sich heraus?
    Und dann wurde ihr eines klar: Er war ein Feigling. Seit dem Vorfall im Fotostudio war Lou ihm aus dem Weg gegangen und hatte darauf geachtet, nie mit ihm allein in einem Raum zu sein. Er musste tagelang darauf gewartet haben, sie alleine zu erwischen, um diese Show abzuziehen. Er traute sich also nicht, in Gegenwart anderer derart aufzutreten. Nur ihr gegenüber nahm er sich das heraus. Er war ein kleiner, mieser Schisser, für den sie plötzlich nur noch Verachtung empfand. Mit so einem wurde sie doch fertig. Vier Wochen noch. Die Hälfte des Praktikums lag schon hinter ihr. Jedenfalls beinahe. Sie würde sich von dem nicht kleinkriegen lassen. Er musste sie schon rauswerfen. Und das würde er nicht tun. Jedenfalls, wenn sie ihr Mundwerk im Zaum hielt und ihm weiter aus dem Weg ging. Freiwillig würde sie das Feld jedenfalls nicht räumen. Jetzt erst recht nicht. Denn genau das wollte er.
    Wütend griff sie nach dem Shirt. Das würde sie garantiert nie wieder anziehen. Zusammen mit dem Kuvert wollte sie es in den Papierkorb stopfen, als sie den Schnitt bemerkte. Jemand hatte das Shirt zerschnitten. Ein waagrechter Schnitt zog sich quer über die Brust. Glatt und präzise, wie mit einem Skalpell gemacht.
    Das hatte Julian also mit scharfen Spielchen gemeint.

34
    Als der Schreck nachließ und sie wieder klar denken konnte, googelte sie die nächste Polizeiinspektion. Ergießereistraße, zehn Minuten mit dem Rad. Es war Mittagspause. Angetrieben von einer Mischung aus Wut und Angst, radelte Lou dorthin. Die Polizeiinspektion befand sich in einem nüchternen Bau aus den Achtzigerjahren mit mehreren Etagen. Zwei unformierte Polizisten in schwarzen Lederjacken kamen ihr entgegen, als sie hineinging. Hinter einer Glaswand mit Sprechfenster saß ein Mann. An ihn wandte Lou sich und fragte, zu wem sie musste, wenn sie einen Einbruch anzeigen wollte.
    »Warten Sie dort drüben.« Er wies auf eine Bank. »Sie werden abgeholt.« Lou ging hinüber. Die Sohlen ihrer Schuhe quietschten auf dem Kunststoffboden. Sie setzte sich und beobachtete, wie der Mann mit jemandem telefonierte. Fünf Minuten später kam ein Polizist auf sie zu. Er erinnerte sie irgendwie an das Sams. Klein, rothaarig, etwas aus der Form geraten, tausend Sommersprossen. Wie gern hätte Lou jetzt einen Wunschpunkt gehabt. »Sind Sie das mit dem Einbruch?«
    Lou nickte.
    »Polizeiobermeister Neumann«, stellte das Sams sich vor. Das Uniformhemd spannte ein wenig über seinem Bauch. »Gut. Dann gehen wir mal nach oben.«
    Sie folgte ihm in ein helles Büro mit etlichen Arbeitstischen. Hinter jedem saß ein Polizist oder eine Polizistin am Computer oder hing am Telefon. Hier war ganz schön was los.
    Neumann bot ihr einen Platz an und setzte sich auf die andere Seite seines Schreibtischs. »So, dann erzählen Sie mal. Bei Ihnen wurde also heute eingebrochen.«
    Lou wusste nicht, was sie sagen sollte. »Nee. Nicht heute. Das ist schon ein paar Tage…«
    »Wann genau?«
    »Keine Ahnung. Ich habe es erst am Freitag gemerkt und…«
    »Und da kommen Sie erst jetzt zu uns? Warum haben Sie das nicht gleich gemeldet?«
    Lou wurde es langsam heiß. Das Sams war entschieden freundlicher und lustiger als Neumann. »Ich dachte ja zuerst, das hat nichts zu bedeuten…«
    Andere ausreden zu lassen, gehörte glasklar nicht zu Neumanns

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