gebeten, die SMS zu schreiben, weil sie tatsächlich ihre Ruhe haben will und Abstand braucht. Meiner Meinung nach ist das die wahrscheinlichste Lösung. Hattet ihr Streit?«
»Wir? Nein. Alles ist in Butter.«
»Oder hat Lou andere Probleme?«
Probleme hatte sie nun in der Tat mehr als reichlich. Und dann heute, die Sache mit Döhrig.
Auf der Suche nach plausiblen Erklärungen ließ Lysanders Panik langsam nach. Er überlegte, ob Lou sauer sein würde, wenn er ihrem Onkel davon erzählte. Doch sie selbst hatte ihn ja um Hilfe gebeten, nachdem Julian Döhrig sie begrabscht hatte. Das eigentliche Problem kannte Onkel Achim also. »Ihr Chef hat sie heute wieder belästigt. Er hat ihr an den Po gegriffen und Lou hat daraufhin das Praktikum geschmissen. Was ja verständlich ist.«
»Was?« Onkel Achim stellte das Glas so heftig auf dem Tisch ab, dass der Wein überschwappte. »So ein Schwein! Und ich dachte, die Sache wäre ein für alle Mal erledigt. Kann dieser Kerl seine Drecksgriffel nicht von dem Mädchen lassen.« Mit der Hand fuhr er sich übers Kinn. »Also da haben wir doch eine Erklärung. Lou hat das Praktikum sausen lassen. Vermutlich weißt du, wie wichtig ihr das war. Sie hat es gegen den Widerstand ihrer Eltern durchgeboxt. Und nun steht sie vor einem Scherbenhaufen. Vermutlich hat sie sich bei einer Freundin verkrochen und heult sich aus.« Onkel Achim erhob sich aus dem Sessel und begleitete Lysander zur Tür. »Mach dir keine Sorgen. Morgen ist sie sicher wieder da.«
48
Die einzige Freundin, von der Lysander wusste, war Caro.
[email protected]. Sollte er ihr eine Mail schreiben und fragen, ob Lou bei ihr war oder ob sie wusste, wo sie war?
Doch ging er damit nicht zu weit? Vielleicht wollte Lou tatsächlich ein paar Tage in Ruhe gelassen werden. Und er scheuchte nun ihre Freunde auf… Wenn er ihr derart nachspionierte, würde sie zu Recht sauer auf ihn sein.
Bis zum Morgengrauen konnte Lysander nicht einschlafen. Gefühlte tausendmal checkte er sein Handy. Nichts. Keine SMS von Lou. Irgendwann schrieb er eine Mail an Caro und löschte sie wieder. Sie klang zu beunruhigend.
Was, wenn er doch recht hatte und Lou sich in Gefahr befand?
Dann konnte auch Caro nicht helfen. Er musste zur Polizei. Er brauchte Meo. Doch sein Bruder und seine Kollegen würden handfeste Hinweise verlangen, dass Lou nicht doch bei einer Freundin war oder gar zu Hause bei ihren Eltern.
Lysander schrieb nun doch eine Mail an Caro, in der er ihr erklärte, dass er Lous Freund war, und Caro bat, Lou auszurichten, dass sie sich bei ihm melden sollte. Dann googelte er die Telefonnummer ihrer Eltern und rief an.
»Meerbusch.« Die Stimme der Frau klang verschlafen.
»Lysander Klein. Ich bin ein Freund von Lou. Kann ich sie sprechen?«
»Um diese Zeit? Es ist sieben Uhr morgens. Außerdem ist Lou nicht da. Sie macht ein Praktikum in München. Versuch es auf dem Handy.«
Lysander bedankte sich und legte auf. Von einer Sekunde auf die andere war die Angst wieder da. Wie glühendes Magma schlug sie in seinen Magen ein.
Eines musste er noch klären, erst dann konnte er Meo aufscheuchen. Lysander streifte Jeans und T-Shirt über. Seine Mutter stand im Schlafanzug in der Küche und machte Frühstück. Es roch nach Kaffee und Toast. Sein Magen zog sich zusammen. Gleich würde er sich übergeben. Er würgte die Übelkeit herunter. »Hi Ma. Kann ich dein Auto haben?« Er hatte einfach keinen Nerv, mit S- und U-Bahn quer durch die Stadt zu zuckeln.
Seine Mutter fuhr sich mit einer Hand durch die vom Schlaf zerzausten Haare. »Heute leider nicht. Ich habe um neun einen Termin.«
»Okay. Kann man nichts machen.« Mit dem Rad würde er ohnehin während des Berufsverkehrs schneller in der Biedersteinstraße sein als mit dem Auto. »Willst du nichts frühstücken?«, rief seine Ma ihm noch nach, als er die Wohnung verließ.
Die körperliche Bewegung tat ihm gut. Er strampelte, als ging es um sein Leben, und schwitzte die Panik aus. Eine halbe Stunde später schob er sein Rad in den Ständer vor Lous Haus, wo sonst immer ihres gestanden hatte. Bei dem Gedanken an sie, an ihre Grübchen, die entstanden, wenn sie lachte, an die widerspenstigen Locken, an ihren Mund, den sie immer so nett verzog, wenn sie nachdachte oder ihr etwas nicht behagte… bei der Vorstellung, dass ihr etwas passiert war, wollte die Angst ihn wieder anspringen. Doch er konnte ihr nur helfen, wenn er einen kühlen Kopf bewahrte. Meo. Er musste Meo überzeugen und