Dein Blick so kalt
Augenblick war ihre Wut verraucht und all der Ärger wie weggeblasen. Alles würde gut werden. Ganz sicher.
Sie blieb noch ein Weilchen sitzen. Es war erst kurz nach fünf. Was sollte sie bis halb sieben tun?
So wie sie die Leopoldstraße entlanggerast war, war es kein Wunder, dass sie total verschwitzt war. Also duschen und umziehen. Lou radelte heim. Vor dem Haus schob sie das Rad in den Ständer und kettete es an. Im Vorraum wartete sie auf den Lift, der nicht kommen wollte. Als sie sich gerade entschlossen hatte, die Treppe zu nehmen, erreichte er rumpelnd das Erdgeschoss. Niemand drin. Sie stieg ein und drückte auf die Taste für die dritte Etage. Die Türen wollten sich schon schließen, als sich eine Hand dazwischenschob und jemand einstieg.
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Lysander saß an den Baumstamm gelehnt und blickte über die Isar. Der Fluss rauschte. Ein schwacher Luftzug strich durch die Bäume. In der Nähe saßen ein paar Jungs um ein Feuer. Drei Plastiktüten voller Bierdosen lagen zur Kühlung im Wasser. Alle paar Minuten stand einer auf und holte Nachschub. Wenn die so weitermachten, waren sie in einer Stunde hackedicht.
Die Familie, die ein Stück entfernt saß, packte langsam ihre Sachen zusammen. Es war schon kurz vor acht. Die Kleinen mussten sicher ins Bett. Wo Lou nur blieb? Er zog das Handy aus der Hosentasche. Keine SMS von ihr. Jetzt wartete er schon anderthalb Stunden. Und in den letzten zehn Minuten hatte er begonnen, sich Sorgen zu machen. Deshalb schrieb er ihr nun eine SMS. Verlaufen? Nicht gefunden? Oder hast du mich vergessen? Ich warte an unserem Baum auf dich. HDL.
Während der folgenden Viertelstunde bezog sich der Himmel grau, der Wind wurde stärker, die Luft kühler. Lou würde wohl nicht mehr kommen. Lysander stand auf und klopfte sich Schmutz vom Hosenboden. Was sollte er jetzt machen? Heimfahren? Zu ihr fahren? Sie anrufen? Er wusste es nicht.
Hatte Lou ihn versetzt? Das traute er ihr eigentlich nicht zu. War etwas passiert? Vielleicht ein Unfall mit dem Rad? Während er versuchte, die aufsteigende Angst zu unterdrücken, und Richtung Flauchersteg ging, gab sein Handy endlich den erhofften Signalton von sich. Eine SMS war eingegangen. Sie kam von Lou. Gott sei Dank!
Tut mir leid. Ich kann nicht kommen. Muss für ein paar Tage allein sein. LG, Lou.
Komische Nachricht. Als er vor ein paar Stunden mit ihr telefoniert hatte, war sie zwar gefrustet gewesen, aber sie hatte sich auf das Treffen gefreut. Er steckte das Handy ein.
Etwas stimmte nicht. Dieses Gefühl war plötzlich da. Es passte nicht zu ihr, dass sie ihn versetzte, sogar für mehrere Tage allein sein wollte. Und diese SMS! Lou wäre gekommen und hätte ihm erklärt, weshalb sie sich für einige Zeit ausklinken wollte. Oder nicht? Kannte er sie wirklich so gut, um das zu wissen?
Er zog das Handy wieder hervor und wählte ihre Nummer. Doch sie hatte ihres abgeschaltet. Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar. The person… Lysander legte auf und schrieb eine SMS. Bitte rufe mich an, sobald du die SMS liest. HDL. HDL löschte er wieder und schrieb: Ich habe dich lieb und ich mache mir Sorgen. Einen Moment zögerte er und klickte dann auf senden.
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Er machte sich auf den Heimweg. Doch daheim in seinem Zimmer ließ ihm Lous Nachricht keine Ruhe. Etwas an der SMS war faul. LG. Liebe Grüße. Dieses Kürzel hatte sie noch nie verwendet. Entweder schickte sie ihm einen :-) oder ein HDL manchmal auch ein :-x. Nochmals wählte er ihre Nummer. Ihr Handy war noch immer aus. Auch das war ungewöhnlich. Bisher hatte er sie immer erreichen können. Er sagte seiner Ma, dass er noch mal losmusste, und fuhr mit der U-Bahn nach Schwabing. Kurz vor halb elf stand er vor ihrem Haus und klingelte. Nichts rührte sich. Dritte Etage. Er suchte den Balkon, der zu ihrer Wohnung gehörte. Der zweite von links. Das Fenster dahinter war dunkel. Ihr Rad stand nicht im Ständer vorm Haus. War sie noch unterwegs? Wollte sie am Ende gar nicht alleine sein? Vielleicht traf sie sich mit einem anderen Jungen. Dieser Gedanke tat weh. Doch instinktiv wusste Lysander, dass sie ihn nicht wegen eines anderen versetzt hatte.
Etwas stank hier bis zum Himmel. Ich bin bei dir. Immer an deiner Seite. Panik kroch in ihm hoch. Er versuchte, sich zu beruhigen. Doch es gelang ihm nicht.
In der Dachterrassenwohnung im fünften Stock brannte Licht. Dort wohnte Lous Onkel. Das hatte sie ihm mal erzählt. Vielleicht war sie bei ihm oder hatte ihm
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