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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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sie hatte kein Werkzeug. Mit den Fingernägeln ging das sicher nicht. Vielleicht aber mit einem Knopf? Lou checkte die Knöpfe an ihrer Bluse und an der Shorts. Doch sie sah sofort, dass die zu dick waren, um als Schraubenzieher zu funktionieren. Jedenfalls war die Idee schon mal nicht schlecht, machte sie sich Mut. Sie musste irgendwas zu einem Werkzeug umfunktionieren. So wie das die Steinzeitmenschen gemacht hatten. Sie hatten die Materialien genutzt, die sie hatten. Knochen und Steine.
    Was hatte sie? Eine Colaflasche und eine Mineralwasserflasche. Der Deckel der Mineralwasserflasche war aus Metall. Super! Das konnte klappen.
    Sie zwängte sich zurück durch den Spalt und blickte dabei irgendwann auch nach oben. Dort hing ein Rauchmelder an der Decke. Genau so ein Teil wie in ihrer Wohnung. Zum ersten Mal fielen ihr die rechteckigen Öffnungen auf. Sie glichen dunklen Fenstern. Kaum wahrnehmbar bewegte sich etwas dahinter. Wie das Auge eines Reptils, das ihren Bewegungen folgte.
    Lou erstarrte.
    Natürlich! Mister Arschloch beobachtete sie. Genau, wie sie es vermutet hatte. Allerdings nicht durch ein Loch in der Tür oder der Wand. Er hatte den Panoramablick auf seine Gefangene. Er hatte eine Kamera installiert. Dieser verdammte Scheißkerl!
    Mit einem Schlag fühlte sie sich schutzlos und ausgeliefert. Das Bedürfnis, sich vor seinen Blicken zu verkriechen, zu verstecken, wurde übermächtig. Ihr nächster Impuls war Wut. Sie versuchte, die Kamera herunterzuschlagen. Doch sie kam nicht hin. Sie brauchte einen Stock, irgendwas, das lang genug war. Aber da war nichts. Nichts. Gar nichts. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Tränen traten ihr in die Augen. Nein! Diese Freude durfte sie ihm nicht machen. Das war es doch, was er wollte. Sie verzweifelt sehen und vor Angst wimmernd.
    Sie zog sich an der Mauer hoch, schwang die Beine darüber und ließ sich auf der anderen Seite auf den Boden gleiten. Bei jeder ihrer Bewegungen fühlte sie seine Blicke wie tastende Finger an ihrem Körper und hätte kotzen können.
    Die Kamera. Sie musste sie zerstören. Doch wie? Womit?
    Mit der Flasche. Lou griff die Glasflasche am Hals, lehnte sich an die Mauer, zielte und warf. Das Geschoss flog genau auf den Rauchmelder zu. Lous Herz machte einen freudigen Satz. Doch die Flugbahn war zu hoch. Klirrend prallte die Flasche an der Decke ab, knallte auf den Boden und zerbrach zwischen zwei Öltanks. Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten. Die Tränen liefen. Gab es in diesem verdammten Keller keine Ecke, in die sie sich verkriechen konnte? Wo sie den sabbernden Blicken dieses Dreckskerls nicht ausgeliefert war?
    Lou raffte sich auf und sah sich um. Sie wanderte mit ihren Augen zwischen der Kamera und dem Raum hin und her. Die Stelle hinten in der Ecke, ganz dicht an der Mauer, kam infrage. Sie probierte es aus, legte sich dort auf den Boden und presste sich an die Wand. Von hier aus konnte sie die Kamera nicht sehen. Das musste dann ja wohl auch umgekehrt so sein. Sie stand auf, zog die Matratze in die Ecke und probierte es noch einmal. Es funktionierte. Vermutlich. Hoffentlich. Sie konnte es nicht lassen, stand wieder auf und stellte sich so, dass die Kamera sie erfasste. Mit letzter Kraft zeigte sie Mister Arschloch den gestreckten Mittelfinger.

57
    Es war kurz vor fünf Uhr nachmittags. Schon achtundvierzig Stunden waren vergangen ohne eine Nachricht von Lou. Lysander wartete im Flur vor Meos Büro auf seinen Bruder.
    Russo hatte ihm zwar geraten, nach Hause zu gehen, doch einfach herumzusitzen und nichts tun zu können, machte ihn wahnsinnig. Daheim hatte Lysander es nicht ausgehalten. Die Facebook-Aktion brachte nichts. Jede Menge mitfühlende Kommentare, aber noch mehr saudumme. Caro hatte auf seine Mail geantwortet und alle Freunde von Lou aktiviert, sich an der Suche zu beteiligen. Außerdem waren Lous Eltern seit gestern in München. Sie wohnten in einer Pension und Russo hatte ihnen Lysanders Handynummer gegeben. Doch anstatt ihm zu danken, dass er die Suche nach Lou überhaupt ins Rollen gebracht hatte, hatte ihr Vater ihn mit Vorwürfen überschüttet, bis er einfach aufgelegt hatte.
    Seine einzige Hoffnung war Lous MacBook. Er wollte wissen, ob Meo die Daten endlich ausgewertet hatte. Deshalb saß er hier. »Ich sehe mir den Computer sofort an, wenn ich mit Danielas fertig bin. Das ist richtige Frickelarbeit, die Daten von ihrem Netbook wiederherzustellen. Aber ich habe es fast geschafft. Dauert noch eine Stunde

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