Dein Blut auf meinen Lippen
Haus."
"Du hast recht. Wir haben ihm geholfen, ins Schloss zu gelangen, damit er mit dieser Blutsaugerin turteln kann. Mehr kann er nicht verlangen. Außerdem lege ich keinen Wert auf näheren Kontakt mit einem von denen."
Die Stimmen wurden leiser, und Romeo hörte die Schritte der beiden in der sternenklaren Nacht verhallen. Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Wie würden sie wohl reagieren, wenn sie erfuhren, dass er sich in die Tochter des mächtigsten Vampirs verliebt hatte?
Oben im Schloss wurde ein Fensterladen aufgestoßen, und das Geräusch riss ihn jäh aus seinen Gedanken. Erschrocken blickte er auf, doch gleich darauf breitete sich ein Lächeln über sein ganzes Gesicht aus. Denn dort oben stand die Frau auf einem Balkon, die seinem Leben einen neuen Sinn gab, und der Mond schien auf ihr bezauberndes Gesicht.
"Julia!", flüsterte er überrascht.
Vor wenigen Augenblicken erst hatte es ihn schockiert zu erfahren, wer sie war, aber jetzt spielte ihre Herkunft keine Rolle mehr. Er war so glücklich, sie zu sehen, dass er drauf und dran war, zu einer mondhellen Stelle zwischen den Bäumen zu laufen und ihr lauthals seine Liebe zu erklären.
Doch dann sagte er sich, dass es nicht viel zu bedeuten hatte, wenn er sich vor Liebe und Verlangen verzehrte, solange er nicht wusste, ob Julia seine Gefühle erwiderte. Würde sie ihn nicht hassen, wenn sie erfuhr, dass er ein Montague war? Oder noch schlimmer: Würde sie nicht in ihm nur eine Blutquelle sehen, wenn sie sich endgültig in einen Vampir verwandelt hatte? Ehe er sich darüber nicht Klarheit verschafft hatte, würde er nichts unternehmen, nichts sagen und nicht mal weiter darüber nachdenken.
Aber bis dahin konnte er wenigstens ihren Anblick genießen, bis ihm das Herz vor Liebe überfloss.
Oder bis ihn seine Liebe ins Verderben stürzte.
Als Julia auf den Balkon vor ihrer Kammer trat, bauschte der Abendwind den Rock ihrer Robe. In lauen Nächten wie dieser liebte sie es, der Enge ihrer Gemächer zu entfliehen und diesen luftigen Ort über dem Obstgarten aufzusuchen. Hier kam sie innerlich zur Ruhe und fühlte sich mit der Welt im Einklang. Im Schloss kam sie sich oft wie eingesperrt vor, aber auf ihrem Balkon konnte sie ihren Gedanken freien Lauf lassen.
Heute Abend dufteten die Birnbäume besonders schön, und am nächtlichen Himmel über ihr funkelten die Sterne. Gleichwohl konnte sie keinen Frieden finden. Ganz im Gegenteil. Sie war so aufgeregt, dass ihr Hals und ihre Wangen gerötet waren. Ihr Kopf hämmerte, und ihr Herz raste so schnell, dass sie ganz außer Atem war. Und alles nur wegen eines jungen Mannes, den sie einfach nicht aus dem Kopf bekam - eines jungen Mannes, der ausgerechnet ein Montague war.
"Oh, dieser verfluchte Name! Ich darf keinen Montague lieben", murmelte sie und verfolgte den Flug eines Kometen, der mit seinem Schweif einen leuchtend weißen Lichtstreifen in den Himmel malte. "Und dennoch: Wenn dieser Montague mir seine Liebe schwört, will ich nicht länger eine Capulet sein."
Plötzlich glaubte sie im Obstgarten ein Geräusch zu hören - vielleicht von einer Lerche, die von einem Zweig zum anderen hüpfte. Aber Julia achtete nicht weiter darauf, sondern hing ihren Gedanken nach.
"Oh, Romeo, dein Name ändert nichts daran, dass ich dich liebe. Aber haben wir denn eine Chance?"
Wieder war unten im Garten ein Geräusch zu hören, dieses Mal etwas lauter. Nachdem sie sich eine Träne abgewischt hatte, warf Julia einen Blick nach unten. Doch es war nichts zu sehen.
"Können wir die Geschichte unserer Familien ignorieren oder gar vergessen, liebster Romeo? Die furchtbaren Dinge, die man mir erzählt hat... Wie deine Cousins meine Onkel brutal erschlagen haben... Die Angriffe auf unser Schloss, vor denen Tybalt mich immer beschützte ... Ach, Liebster, es ist nicht mein Herz, das Zweifel hegt, aber mein Verstand ..."
"Ist so betörend wie deine Schönheit", ertönte eine laute Stimme im Obstgarten.
Erschrocken wich Julia ein paar Schritte zurück und fragte sich, was das zu bedeuten hatte.
"Wer dort?", rief sie.
"Verzeih, meine Liebe, aber ich habe dich auf dem Balkon gehört und konnte mich nicht zurückhalten", erwiderte der Fremde.
Julia schlug sich die Hand vor den Mund. Wie peinlich! Was sie gesagt hatte, war für niemandes Ohren gedacht gewesen. Außer ...
"Wer ist denn da? Ein Name bitte!" Julia trat an die Balkonbrüstung und beugte sich vor, um besser sehen zu
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