Dein Blut auf meinen Lippen
können.
Ein elegant gekleideter Mann trat aus dem Schatten der Gartenmauer, nahm die Kappe ab und legte den Kopf in den Nacken, sodass das Mondlicht auf sein Gesicht fiel.
Er war es! Ganz deutlich erkannte Julia seine ebenmäßigen Züge, die ihr schon so vertraut schienen. Wie sehr wäre sie erfreut gewesen, ihn zu sehen, hätte sie sich nicht soeben zum Narren gemacht, indem sie ihre Gefühle ausposaunt hatte. Was für eine Blamage!
"Was musst du jetzt nur von mir denken?", sagte sie verzagt. "Inzwischen weißt du, dass ich eine Capulet bin, und hast gehört, was für hirnverbrannte Selbstgespräche ich führe."
Romeo setzte die Kappe wieder auf. "Ich denke nicht schlecht von dir, Julia, und es ist mir egal, was unsere Familien einander angetan haben. Ich will nur eins: dich glücklich machen."
Julia lächelte selig. "Wie hast du mich hier gefunden?"
"Reiner Zufall." Romeo konnte den Blick nicht von ihr abwenden. "Aber von jetzt an werde ich unser Schicksal nicht mehr dem Zufall überlassen."
Julias Miene verfinsterte sich. "Ach, Romeo, unser Schicksal ist doch vorgezeichnet! Was wir beide wollen und fühlen, spielt keine Rolle."
"Und warum? Nur weil du eine Capulet bist und ich ein Montague?"
"Ja, natürlich." Traurig ließ Julia den Kopf hängen. "Es ist eine Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen."
"Süße Julia, ich selbst habe noch keinem Capulet etwas angetan, genauso wenig wie irgendjemandem sonst.
Und auch du hast gewiss noch niemandem etwas zuleide getan - sei es einem Montague oder sonst wem."
Julia nickte, aber sie dachte daran, dass sie in drei Tagen nicht nur jemandem "etwas zuleide tun", sondern ihn auslöschen musste.
"Warum sollten wir also für die Sünden unserer Väter bestraft werden? Müssen wir hassen, weil sie hassen? Unserer Liebe, süße Julia, soll und darf nichts im Wege stehen."
"Unserer Liebe", wiederholte Julia und merkte, wie ihr Herz vor Freude schneller schlug.
"Lass dich nicht von Zweifeln quälen", bat Romeo mit Nachdruck.
"Das ist einfacher gesagt als getan", erwiderte Julia und wünschte, sie könnte ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Aber sie hielt es für besser, wenn wenigstens einer von ihnen realistisch blieb.
"Was kann uns noch auseinanderbringen?", fragte Romeo euphorisch.
"Was uns auseinanderbringen kann?" Julia wusste, dass sie es ihm sagen musste. "Ich werde doch selbst zum Vampir, in drei Tagen schon." Sie sah Romeo gespannt ins Gesicht und wartete auf seine Reaktion. Überraschenderweise blieb er ganz ruhig.
"Von mir aus kannst du dich in einen Fisch verwandeln, in einen Affen oder ein Huhn. Das würde nichts ändern."
"Was redest du da für einen Unsinn?" Julia musste lachen, obwohl ihr gar nicht danach zumute war. "Ich weiß nicht, was du daran witzig findest."
"Ich weiß es ja selbst nicht", sagte Romeo. "Ich weiß nur, dass meine Gefühle für dich stark genug sind, um jedes Hindernis zu überwinden. Deswegen will ich dir auch gar keine Fragen stellen." Plötzlich kniete er nieder und fügte hinzu: "Außer einer: Willst du mich heiraten?"
Julia hatte plötzlich das Gefühl zu schweben. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie abheben und in den Wolken landen.
"Alles, was ich bin und habe, bist nur du", fuhr Romeo fort, während Julia noch wie benommen dastand.
Dann zerriss eine schrille Stimme die Stille: "Julia! Mein Fräulein!"
"Einen Moment noch, gute Amme!", rief Julia über die Schulter, ehe sie wieder zu Romeo hinabschaute, der immer noch im Obstgarten kniete.
"Liebste, wenn du nicht antworten kannst, weil du jetzt gehen musst, dann gib mir wenigstens ein kleines Zeichen, damit ich hoffen kann", flehte Romeo.
"Das ist die letzte Aufforderung, mein Fräulein!", schrie die Amme aufgeregt.
Julia hatte das Gefühl, als drehte sich ihr Magen um. Sie konnte nicht klar denken, und so konnte sie nichts anderes tun, als ihrem Herzen zu folgen.
"Ich muss fort, Liebster. Auch du solltest gehen, ehe dich eine Wache entdeckt. Dann gibt es nämlich keine Hochzeit."
Romeo grinste und sprang auf die Füße. "Dann willst du mich also heiraten! Gesegnet sei diese Nacht!"
"FRÄULEIN JULI A!", rief die Amme ungehalten.
"Ja doch, Amme! Ich höre dich ja."
"Gleich morgen früh bitte ich Bruder Lorenzo, uns im Kloster zu trauen", sagte Romeo schnell.
Julia musste sich beherrschen, um nicht von Gefühlen übermannt zu werden. "Ich schicke jemanden zu ihm, der unseren Hochzeitswunsch bestätigt. Lass uns beten, dass keiner von uns seine Meinung
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