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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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hält, wird er sie beiseiteschieben; ich nehme an, das will schon etwas heißen.
    Heute Abend nach dem Essen, als es noch ruhig war, sind wir zur Baustelle hinübergewandert, um die Lage unserer zukünftigen Hütte zu bewundern. Der Platz ist ideal. Wir haben sogar die meisten Knochen weggeräumt. Ich wünschte nur, Algie hätte den verdammten Pfosten nicht stehengelassen. Gruhuken scheint eine bedrückende Vergangenheit zu haben. Ich möchte nicht, dass etwas davon abfärbt.
    Und er musste natürlich darüber schwadronieren, wie das abscheuliche Ding funktioniert. «Offenbar kommt er im Winter zum Einsatz, wenn das Packeis in Küstennähe gelangt und die Bären mitbringt. Sie werden von großen, aufrecht stehenden Sachen angezogen, vor allem, wenn oben eine Speckschwarte baumelt. Man muss also nichts weiter tun, als mit aus dem Fenster geschobenem Gewehr in der Hütte abzuwarten, bis so eine Bestie in Schussweite kommt. Ich muss gestehen, ich bin ganz begierig darauf, das einmal auszuprobieren.»
    «Algie, alter Knabe», sagte Gus, «ich glaube nicht, dass sich das einrichten lässt. Wir wollen nicht, dass Bären um unser Lager schleichen.»
    Er und Algie entfernten sich freundschaftlich kabbelnd, und ich schlenderte zum Strand hinunter.
    Ich überquerte den Bach und ging zu den Felsen. Es war beinahe Mitternacht, und die großen schrägen Felsplatten schimmerten in dem geheimnisvollen goldenen Licht. Von weitem scheinen sie sanft in die Untiefen abzufallen, in Wirklichkeit aber enden sie in einer tückischen, ein Meter zwanzig tiefen steilen Senke. Das Wasser ist tief, man kann bis auf den Grund sehen, auf die riesengroßen grünen Steine und die wallenden Wassergräser, die versunkenen Haaren ähneln.
    Ich hockte mich an die Kante und sah zu, wie die Wellen ans Ufer klatschten und die Eisbrocken klimpernd aneinanderstießen. Ich hörte das sonderbare Knacken des Eises, während es Selbstgespräche führte.
    Ich dachte, wenn ich hineinfallen würde, wäre ich nicht imstande hinauszuklettern. Ich würde versuchen, dorthin zu schwimmen, wo es flacher ist, aber die Kälte würde mir lange vorher den Garaus machen.
    Als ich zurückging, streifte ein Sonnenstrahl den Bärenpfosten. Das Holz war silbern gebleicht, bis auf einige verkohlte Stellen und ein paar dunklere Flecken, die von Speck herrühren mussten. Ich fand es nahezu unfassbar, dass dies einmal ein Baum in einem sibirischen Wald gewesen war.
    Impulsiv zog ich meinen Handschuh aus und legte meine Hand an den Pfosten. Er fühlte sich glatt und unangenehm kalt an. Er war mir nicht geheuer. Ein Tötungspfosten.
    Und doch glaube ich jetzt den Drang zu verstehen, der Männer dazu treibt, Bären zu schießen. Nicht um des Felles oder des Fleisches oder des Sportes willen – oder nicht nur deswegen. Ich denke, sie müssen es tun. Sie müssen dieses großartige arktische Wahrzeichen töten, um sich das Gefühl zu geben, die Wildnis zu beherrschen – auch wenn es nur eine Illusion ist.

    Gerade eben ist ein Schatten über das Zelt gehuscht, und ich bin dermaßen erschrocken, dass ich beinahe aufgeschrien hätte.
    Ruhig Blut, Jack. Es war nur eine Möwe.
    Der Wind bläst heftig, die Hunde heulen. Sie sind unruhig heute Nacht.

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    6
    15. August, Hütte in Gruhuken
    Die Hütte ist fertig, und wir sind eingezogen!
    Sie stand innerhalb von drei Tagen, alle haben geschuftet wie die Ochsen, und sie ist schön geworden. Ganz in Schwarz: Die Wände mit Teerpappe verkleidet, das Dach mit Dachpappe, und oben schaut das Ofenrohr ein bisschen schief heraus, wie bei dem Hexenhäuschen in «Hänsel und Gretel». Die zwei Vorderfenster sind so verschieden groß, dass sie wie ein ungleiches Augenpaar aussehen.
    Dazwischen ist eine kleine geschlossene Veranda, über die Gus ein Rentiergeweih genagelt hat, ein hübscher Hauch von Prunk. Wenn man sich nach rechts wendet und um die Ecke geht, kommt man zum Außenklosett, das Algie hochtrabend Toilette nennt. Auf der Rückseite ist an der rechten Hälfte der Hütte ein Anbau aus Packkisten und Maschendraht für die Hunde, die linke Hälfte grenzt an den Felsen. Die ganze Hütte (ausgenommen Hundehütte und Felsseite) ist von einem circa einen halben Meter breiten Plankenweg umgeben. Wenn man drinnen ist und einer ihn betritt, hört man die Schritte und fühlt den Boden vibrieren – was Algie nur zu gerne demonstriert.
    Meine Funkmasten stehen ein paar Schritte nach links, dahinter ist die Wetterhütte für die

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