Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Strohhalm.
    Ich habe Kedgeree gemacht, «Pensionsfrühstück», wie Algie es nennt. Ich sagte mir, dies ist die Wirklichkeit. Der Kaffeeduft. Der buttrige Geschmack von Salzdorsch und hartgekochtem Ei.
    Ich habe keinen Fuß vor die Türe gesetzt, außer um aufs Klosett zu gehen. Ich habe die Küche geputzt und Wäsche gewaschen. Habe zum Mittagessen Käsegebäck und Robbenfleisch-Haschee gemacht. Habe eine von den Zeitschriften des Professors zu lesen versucht. Habe die Übermittlungen vorgenommen.
    Zum Abendessen habe ich meinen Pemmikan-Eintopf gemacht. Pemmikan ist ein Gemisch aus fettem und magerem Rindfleisch, das gedörrt und mit Albumin zu Blöcken gepresst wird. Es wird in Stücke gebrochen und mit Wasser gekocht. Zu viel Wasser, und man hat eine schleimige Pampe, zu wenig, und es ist widerwärtig. Meistens gelingt es mir genau richtig. Ich gebe Kartoffeln und getrocknetes Gemüse dazu sowie meine geheime Zutat für einen würzigen, sättigenden Eintopf: einen Brühwürfel.
    Geheimhaltung ist Schwerstarbeit. Ich war beinahe zu erschöpft, um zu essen. Auch Algie wirkte müde, und Gus war verstimmt und stocherte in seinem Essen herum. Keiner schlug vor, Radio zu hören, und wir haben uns zeitig zurückgezogen.
    Ich schreibe dies in meiner Koje. Hinter meinem Kopf höre ich das Scharren in der Hundehütte. Morgen bin ich mit den Ablesungen an der Reihe. Mir ist bange davor. Ich werde Isaak mitnehmen.
    Ich bringe es nicht über mich, es den anderen zu sagen. Noch nicht. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass das, was ich auf dem Felsen gesehen habe, nur Einbildung war; denn dann würde es nicht existieren. Aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Ich habe die Furcht gespürt. Ich habe gesehen, was ich gesehen habe.
    Gruhuken wird heimgesucht.
    So. Jetzt ist es heraus. Deswegen hat Eriksson uns nicht hierherbringen wollen. Deswegen hat die Mannschaft immer auf dem Schiff geschlafen, deswegen waren sie so erpicht darauf, vor dem ersten Dunkel wegzukommen.
    Aber was heißt das, «heimgesucht»?
    Ich habe es in Gus’ Lexikon nachgeschlagen. Heimsuchen: 1. (Einer Person oder an einem Ort) In Gestalt eines Geistes erscheinen. 2. Immer wiederkehren (Gedanken, Erinnerungen etc.), z.B. Er war von der Angst vor Geisteskrankheit heimgesucht. 3. Häufig besuchen [von AN heimta, nach Hause bringen, AE hamettan , beherbergen] .
    Ich wünschte, ich hätte das nicht gelesen. Wenn man bedenkt, dass etwas so Entsetzliches seinen Ursprung in etwas so – nun ja, Heimeligem hat.
    Aber was ist es?
    Es ist ein Echo, das ist es. Ein Echo aus der Vergangenheit. Ich habe davon gelesen; man nennt es «Ortserinnerung», ein Begriff, der schon den Viktorianern geläufig war. Wenn an einem Ort etwas geschieht, prägt es sich diesem Ort ein; vielleicht indem es die Atmosphäre verändert wie Radiowellen oder indem es auf Materie einwirkt, sodass zum Beispiel Steine in irgendeiner Weise mit dem Geschehen aufgeladen sind. Wenn dann ein empfänglicher Mensch daherkommt, gibt der Ort das Geschehen oder kurze Augenblicke davon wieder. Man muss nur dort sein, um es aufzufangen. Und wer ist besser dafür geeignet als ein Funker? Hahaha.
    Ja, das muss es sein. Ich glaube nicht, dass ich mich an einen Strohhalm klammere. Was könnte es sonst sein? Es ist die einzige sinnvolle Erklärung.
    Und das bedeutet auch, dass es das, was ich auf dem Felsen gesehen habe, nicht wirklich gibt. Es hat existiert, aber das war einmal. Daran muss ich festhalten.
    Was ich gesehen habe, war nur ein Echo.
    18. Oktober
    Aber ein Echo wovon?
    Es ist fünf Uhr morgens, und ich muss mir darüber klarwerden, bevor ich die Sieben-Uhr-Ablesung vornehme.
    Ein Echo wovon?
    Es muss etwas sein, das sich hier zugetragen hat. Etwas Schlimmes. Ich weiß, dass es schlimm war, daher die Furcht.
    Ich habe meine Bücher über Spitzbergen durchgeblättert, aber keinerlei Erwähnung von Gruhuken gefunden. Und ich habe dieses Tagebuch durchgesehen und noch einmal gelesen, was ich über die Männer geschrieben habe, die vor uns hier gewesen sind. Es ist nicht viel, ich bin mir auch nicht sicher, wie exakt es ist, weil es mich seinerzeit nicht interessiert hat. Ich hielt es nicht für wichtig. Zuerst waren die Pelztierjäger da, später die Bergleute, so hat Eriksson es gesagt. Die vielen Knochen, die Minenruinen, das Drähtegewirr am Strand. Die Claimschilder. Die Hütte.
    Jene Hütte. Die Trostlosigkeit, als ich hineinkroch. Hat ein Pelztierjäger oder Bergmann darin seinem Leben ein Ende