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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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zweiten Mal zu durchleben. Ich fühlte mich wie einer dieser hohlen Zeitungsautoren, die ihr schäbiges Leben in allen Einzelheiten registrieren und es dann auch noch in die Druckerei tragen, zum Verdruß unvorsichtiger oder ebenso hochgradig schäbiger und hohler Leser.
    Warum er mich mit nach York nahm, habe ich nie erfahren. Wir gingen lange auf dem Wehrgang der sehr langen Stadtmauer spazieren, wie zwei Wachtposten oder zwei Fürsten. Er bestand darauf, daß wir im Auto nach Coxwold fuhren, ein kleines benachbartes Dorf, in dem sich das Haus befindet, das vor zweieinhalb Jahrhunderten dem Schriftsteller Laurence Sterne gehört hatte, Shandy Hall, so genannt zu Ehren seines wichtigsten Romans, Tristram Shandy . Ich schrieb sein Bestreben dem Einfluß von Toby Rylands zu, der, als ich Umgang mit ihm hatte, schon jahrelang über ›das beste jemals geschriebene Buch‹ arbeitete, wie er mir einmal sagte – nicht so sehr mit Unbescheidenheit als mit Überzeugung –, über das andere Hauptwerk Sternes, A Sentimental Journey oder Empfindsame Reise; als wollte Tupra auf diese Weise seinem einstigen Meister in Oxford oder beim MI 6 oder an beiden Orten huldigen, wogegen ich nichts einzuwenden hatte, ganz im Gegenteil, und außerdem stand Widerspruch mir nicht zu. Doch kaum waren wir angekommen, suchte er den Leiter des Museumshauses auf, einen Mann, der jünger war als er und ich und den er mir unwahrscheinlicherweise als Mr. Wildgust vorstellte (wörtlich: ›Wilder Windstoß‹), mit dem er sich zu einem Gespräch in ein Büro zurückzog, während er mich aufforderte, den Ort auf eigene Faust zu besichtigen. In jedem Zimmer des angenehmen, friedlichen Hauses mit zwei Stockwerken gab es einen Alten oder eine Alte – zweifellos Rentner –, die dem Besucher, ob man nun wollte oder nicht, ausführliche Erläuterungen zum Leben und zu den Gewohnheiten des Hausherrn aus dem achtzehnten Jahrhundert und über die Sanierungen gaben, die sowohl zur Zeit eines gewissen Mr. Monkman, dem verehrten Gründer des Laurence Sterne Trust, als auch in der Gegenwart im Haus durchgeführt worden waren (ich gab bereitwillig eine kleine Spende). In dem weiträumigen Garten beging ich eine wahrscheinlich strafbare Tat: Ich riß eine winzige Pflanze aus, die ich verbarg und während der übrigen Reise feucht hielt und die später in London ohne größere Pflege und Mühe zu einer außergewöhnlich prachtvollen und üppigen Pflanze gedieh, ihren Namen habe ich allerdings nie herausgefunden, weder ihren englischen noch ihren spanischen (ich freute mich, etwas Lebendiges aus dem Garten der Familie Shandy mitzunehmen und zu erhalten). Tupra machte sich nicht die Mühe, das Haus zu besichtigen, er kenne es schon, sagte er, und sicher entsprach das der Wahrheit. Nach einer Stunde kam er mit Mr. Wildgust heraus, einem jungenhaften Mann von freundlichem, harmlosen und fröhlichen Aussehen, mit Brille und etwas längerem rotblonden Haar, und wir kehrten nach York zurück, wo er sich vielleicht mit noch jemandem traf, aber ohne mich. Er bat mich weder um die Deutung von jemandem noch um meine Meinung zu etwas, nicht einmal über Sterne, die endlose Stadtmauer oder Shandy Hall.
    Es kostete Mühe zu glauben, daß ein so praktischer Mensch wie Tupra mit Coxwold oder mit Mr. Wildgust eine andere Beziehung haben könnte als eine berufliche, aber es war wiederum schwierig, sich vorzustellen, warum er diesen persönlich besuchte und zu was er ihm nütze sein mochte, dieser Museumsleiter mit dem scheinbar kontemplativen Leben – er hatte vermutlich nicht viel zu tun: Als wir ankamen, war er in die Lektüre eines Romans vertieft, er saß dort, wo die Souvenirs und Postkarten verkauft wurden, es gab keinen einzigen Kunden weit und breit –, verloren in einem Dorf in Yorkshire, in das man seinerzeit den nicht sehr berufenen, mondänen und respektlosen Reverend Sterne als Pfarrer geschickt hatte. Es war auch nicht leicht zu ergründen, was er mit einem Berliner Schuhmacher zu tun hatte, den wir in seinem kleinen, eleganten Geschäft namens Von T besuchten (handgefertigte Herrenschuhe), als wir auf den Kontinent reisten, kurz nach diesen anderen Fahrten auf der großen Insel. Natürlich probierte Reresby Schuhe an und kaufte welche, und Herr von Truschinsky aus der Bleibtreustraße nahm auf Verlangen Tupras mit Hilfe einiger hübscher, handwerklicher Holzapparate, wie ich sie bis dahin noch nie gesehen hatte, die genauen und vollständigen Maße meiner beiden

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