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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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bekamen es mit typischen Detektivaufgaben zu tun: das Nachweisen eines Seitensprungs, die Untersuchung von Unterschlagungen oder Veruntreuungen, das Eintreiben von Schulden bei säumigen Zahlern; oder als Leibwächter, Personenschutz für Leute aus dem Showgeschäft oder Potentaten bei öffentlichen Veranstaltungen, solche Sachen. Andere dienten sich denjenigen ihrer Ex-Kollegen an, die zu Söldnern geworden waren, davon hat es eine ganze Reihe gegeben, in Afrika fehlt es ihnen nicht an Betätigung. Doch der Kreis der Aufträge weitete sich aus, mit der Zeit schlugen die gemeinen Feldagenten den Abteilungsleitern welche vor und verschafften sie ihnen dann auch, und ich stelle mir vor, daß diese im Jahre 2001 die oberste Führungsebene von den Vorteilen überzeugt hatten, nicht nur für den Staat zu arbeiten. Jedenfalls entstand in diesen sieben oder acht Jahren, in diesem langen Zeitraum ohne Hauptfeind ein paralleles Netz diverser Kunden jeder Art. Mehr als einmal werden Mitglieder des MI 5 und des MI 6 ihre Dienste Verbrechern zur Verfügung gestellt haben, ob wissentlich oder nicht oder ob sie es nicht wissen wollten, aber durchaus ahnten, vielleicht sogar dem organisierten Verbrechen oder gar ausländischen Regierungen als letztem Glied in der Kette, im weit entfernten Dunkel. Das kann sein, niemand weiß es, noch wird man es je herausfinden, so, nach dem jetzigen Stand der Dinge ist nichts sehr deutlich und alles sehr verworren. Man gewöhnt sich daran, denjenigen, die einen bezahlen, keine Fragen zu stellen, und außerdem wird fast alles über Vermittler und Strohmänner abgewickelt und verhandelt. Wenn man erst eine Untersuchung durchführen müßte, um zu erfahren, wer hinter jeder Obliegenheit steht, dann käme man nie an ein Ende und würde gar nicht erst anfangen, das Geschäft würde sich nicht lohnen.«
    Die junge Pérez Nuix hielt inne und leerte ihr zweites Glas nun ganz. Ich zögerte, aber dann machte ich aus Höflichkeit eine kleine Geste, als wollte ich ihr wieder nachschenken, doch ohne dabei die Flasche zu berühren. Bislang hatte ich ihr noch kein Stammeln oder sonst eine Sprachschwierigkeit angemerkt, doch wenn sie in diesem Tempo weitermachte, konnte sie jederzeit konfus oder schläfrig werden, und ich wollte jetzt alles hören. Anzeichen dafür gab es nicht, sie mußte den Wein gewohnt sein. Sogar ihr Vokabular war gewählt und präzise, das einer belesenen Person, es war mir nicht entgangen, daß sie nicht gerade gebräuchliche Wörter benutzt hatte, ›zum alten Eisen Geworfene‹, ›Obliegenheit‹, ›gemeine Agenten‹. Vielleicht war sie trotz ihrer väterlichen Herkunft wie die Engländer, die meine Sprache eher aus Büchern als durch Sprechen gelernt haben und deren Spanisch literarisch wirkt. Ich stand also auf und verkündete, bevor sie meine halbherzig fragende Geste mit ›Ja‹ oder ›Nein‹ beantworten konnte:
    »Ich hol mir mal ein Glas, jetzt habe ich doch Lust.« Und gleich darauf erlaubte ich mir den Hinweis oder den Vorbehalt: »Ich weiß nicht, ob ein drittes gut für dich ist, in so kurzer Zeit. Das hieße, wie eine Engländerin zu trinken, nicht wie eine Spanierin. Ich bringe uns jedenfalls etwas zum Knabbern mit.«
    Als ich mit meinem Glas und zwei Schälchen mit ein paar Oliven und Kartoffelchips zurückkam, überraschte ich sie dabei, wie sie ihre Laufmasche inspizierte. Vom Flur aus, bevor ich eintrat, ihr fast verborgen – ich blieb stehen und spionierte sie ein paar Sekunden aus: eins, zwei, drei; und vier –, sah ich, wie sie sie betrachtete und vorsichtig mit dem Zeigefinger darüberstrich (vielleicht mit Spucke befeuchtet oder aber mit einem Tropfen Nagellack benetzt, wie ihn sich die Frauen früher auf die aufgegangene Masche taten, um das Weiterlaufen zu verhindern, mal sehen, ob der Strumpf wenigstens so lange den Schein wahrte, bis sie nach Hause kamen; obwohl es hier schon zu spät war, um etwas zu bremsen). Als ich wieder vor ihr stand, sie mit verschränkten Armen und Beinen, machte sie keinerlei Anspielung auf den kleinen Schaden an ihrer Kleidung, was seltsam war: Es wäre der Augenblick gewesen, um sich überrascht zu zeigen, zu lamentieren und sogar, wenn sie gewollt hätte, um sich für das schlechte Bild zu entschuldigen, das sie theoretisch mit der Laufmasche abgeben mochte, mir war sie nicht unangenehm und machte auch keinen schlechten Eindruck auf mich, es amüsierte mich sogar, diskret ihr weiteres Fortschreiten zu beobachten. Ich fragte

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