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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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höher (bis sie ihn mit einem Ruck herunterzog). Sie hatte den laufenden Schaden noch immer nicht bemerkt, wo es doch eigentlich längst an der Zeit war. Für eine Laufmasche stand sie ihrem Bein nicht schlecht, obwohl sie dazu bestimmt schien, ihr die Strümpfe in Fetzen zu verwandeln, wenn unser Gespräch lange genug dauerte, und sie hatte ihre Ankündigung ›nur einen Augenblick‹ inzwischen vollkommen vergessen und ich vielleicht auch, zum Teil. Mir wurde klar, daß es mir nach dem anfänglichen Befremden und Vorläufigkeitsgefühl angenehm war, einen ausgedehnten Besuch zu haben, noch dazu mit einem Hund zu Füßen, wenn sie ruhig sind, geben sie einem ein Gefühl von Friedlichkeit, ja, Gemütlichkeit. Das Tier, anscheinend schon sehr viel trockener, döste noch immer mit einem offenen Auge, zusammengerollt neben seinem Frauchen. ( ›Sleep with one eye open, when you slumber‹, summe und zitiere ich bisweilen für mich.) Es wirkte gutmütig und harmlos und redlich, das Gegenteil eines Witzboldes und eines Hallodris.
    »Du trinkst nichts?« fragte Pérez Nuix. »Sag mir nicht, daß du mir nicht Gesellschaft leistest. Wie peinlich, allein zu trinken.« Aber sie überwand die Peinlichkeit sofort, denn sie leerte das Glas mit einem einzigen Zug, als wäre sie ›die Flasche‹ Lord Rymer in seinen gierigsten Momenten. Sie hatte zweifellos Durst, das war normal nach dem Spaziergang im Regen, seltsam war, daß sie mich nicht früher um etwas gebeten hatte. Ich füllte ihr das Glas wieder, nicht ganz so voll.
    »Später, in ein paar Minuten, nehme ich mir was«, antwortete ich. »Red weiter.« Und damit das nicht nach einem Befehl klang, beugte ich mich hinunter und streichelte abermals den Hund am Kopf und am Rücken, kleine Knochen. Jetzt hob er nicht einmal mehr den Hals, wahrscheinlich hatte er sich an meine Anwesenheit gewöhnt und beachtete mich deshalb nicht im geringsten, er war sehr würdevoll, dieser Pointer. Doch jeder glaubt, daß es ihn freundlicher erscheinen läßt, wenn er Zuneigung zu Tieren zeigt, und mit meinem Manöver suchte ich diese Wirkung. (Wenn es etwas gibt, das ich nicht ertragen kann, dann sind es diese Schriftsteller, es gibt Hunderte, die sich mit ihren Hunden oder Katzen fotografieren lassen, um ein leutseliges Bild abzugeben, während sie doch nur affektiert und spießig wirken.) Ich nutzte mein freundschaftliches Herunterbeugen, um mir die Schenkel der jungen Pérez Nuix auf Augenhöhe und ganz in Ruhe anzusehen, ich werde nicht abstreiten, daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ich nehme an, daß sie tat, als merkte sie es nicht, sie bedeckte sie nicht und rückte auch keinen Millimeter beiseite. Jetzt fühlte ich mich tatsächlich so kindisch wie De la Garza, doch die sexuelle Bewunderung vor dem Sex ist immer kindisch, was kann man da machen.
    »Ich weiß nicht, was aus diesen Maßnahmen geworden ist, möglicherweise ging es mit ihnen voran, aber unterderhand und mit weniger Nachdruck als vorgesehen«, fuhr sie dann fort, nachdem sie auch ihr zweites Glas Wein zur Hälfte geleert hatte: Ich hoffte, sie würde keine schwere Zunge bekommen. »Denn wenig später kam der 11 . September, und danach war niemand mehr vollkommen überflüssig. Aber vor allem kamen diese Maßnahmen zu spät, wenn es sie denn gegeben hat, und sie waren nicht originell, sondern sanktionierten nur etwas, das schon seit Jahren ohne das Eingreifen, fast ohne die Kenntnis der höchsten Führungsebene geschah, oder, na ja, Kenntnis gab es halbwegs, aber begleitet von Passivität, Ignoranz, einer Spur Neugier und beträchtlichter Nachsicht. Die Agenten, die am wenigsten zu tun hatten, waren, nachdem sie die lange Verwirrung nach dem Mauerfall überwunden hatten, zur Akquise externer Kunden übergegangen, ob für Gelegenheitsaufträge oder dauerhaft, ein jeder innerhalb seiner jeweiligen Bereiche und Möglichkeiten. Einige wenige zum alten Eisen Geworfene gaben sogar auf, wer konnte, kündigte (je nach der erworbenen Verantwortung ist das hier nicht leicht, manchmal ist es gar nicht machbar). Aber den meisten gelang es nicht oder sie wollten es einfach nicht, begannen jedoch für diesen und jenen externen Auftraggeber zu arbeiten und damit verschiedenen Herren zu dienen. Sie boten ihre Fähigkeiten dem Meistbietenden an oder suchten sich die am besten bezahlten Aufträge. Und was für eine Art Leute oder private Körperschaften hatten oder haben Interesse daran, Agenten unter Vertrag zu nehmen? Ja, einige

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