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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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um Chronos, Zeus, Hera, Pallas Athene, Aphrodite, Ares, Hermes, Phoebus Apollo, Hephaistos und Hebe, gealtert und der Witterung ausgesetzt, mit hängenden Köpfen und starr vor Kälte in ihrem Exil. ›Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!‹, ruft der Dichter.« Und mein Vater übersetzte Vers auf Vers für mich, langsam aus dem Gedächtnis. »›Das sind sie selber, die Götter von Hellas, / Die einst so freudig die Welt beherrschten, / Doch jetzt, verdrängt und verstorben, / Als ungeheure Gespenster dahinziehn / Am mitternächtlichen Himmel …‹« Aber die Verse wollten ihm partout im Deutsch seiner Kindheit einfallen, oder das Übersetzen bereitete ihm Mühe, und so fiel er erneut in die fremde Sprache, und ab da verstand ich erst einmal nichts mehr.
    Später, als er schon tot war, versuchte ich die Worte ausfindig zu machen, die ich von ihm gehört hatte, ohne sie erfassen zu können. Ich schlug das Original von Heines ›Die griechischen Götter‹ in einer zweisprachigen englischen Ausgabe nach (auf spanisch konnte ich keine finden), und zweifellos war dies die Strophe, die er aus dem Stegreif und tastend in meine Sprache übertragen hatte: ›Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken! Das sind sie selber, die Götter von Hellas, die einst so freudig die Welt beherrschten, doch jetzt, verdrängt und verstorben, als ungeheure Gespenster dahinziehn am mitternächtlichen Himmel …‹ Ich vermute, daß er über eine gute Aussprache verfügte. Und mir fielen auch zwei weitere kurze Passagen auf, die er an jenem Tag wohl auf deutsch vorgetragen hatte. In der einen wandte sich der Dichter an Zeus und sagte zu ihm: ›Doch auch die Götter regieren nicht ewig. Die jungen verdrängen die alten, wie du einst selber den greisen Vater verdrängt hast …‹. Die zweite war ein Bild, das er auf jene Schar von verstörten und herumirrenden Gottheiten münzte: ›Tote, nachtwandelnde Schatten, nebelschwache, die der Wind verscheucht …‹, so nannte er sie. Bestimmt hatte er jene Worte in meiner Gegenwart ausgesprochen, auch wenn ich sie damals nicht verstanden hatte. Und ich fragte mich, was er gedacht haben mochte, als er sie damals aufsagte.
    Während er noch in sich versunken zitierte, beugte ich mich zu ihm und küßte ihn ein weiteres Mal, bevor ich ging, diesmal auf die Wange, als wären wir Toreros, und ich legte ihm abermals kurz die Hand auf die Schulter, als stilles Lebwohl, während er sich schon auf den Weg in den Nebel machte, den der Wind verscheucht, oder in jenes Exil, in dem man selbst den eigenen Namen weglassen muß.


    E s war mir auch gelungen, nicht viel an Luisa zu denken, bis ich im Flugzeug saß, in der Business Class eines Iberia-Jets, dessen Abflug sich charakteristischer- und ärgerlicherweise um fast eine Stunde verzögerte. Dabei hatte mir geholfen, daß sie mir schließlich an keinem der Tage vorgeschlagen hatte, zusammen mittag- oder abendessen zu gehen; ich hatte weiter darauf verzichtet, in sie zu dringen, mich zu beklagen oder zu protestieren, nach dem, was ich getan hatte, vermied ich das lieber, ich fühlte mich nicht, als hätte ich es verdient, und obwohl mir durchaus danach war, fiel es mir leicht, mich zu beherrschen und mir nichts anmerken zu lassen. Wir begegneten uns also nur kurz zu Hause, wenn ich die Kinder abholte oder zurückbrachte oder noch eine Weile bei ihnen blieb, bis sie schlafen gingen. Und wenn sie dann einmal im Bett lagen, bot Luisa mir weder etwas zu trinken an noch forderte sie mich auf, einen Moment Platz zu nehmen, damit wir uns noch unterhalten könnten. Nicht, daß sie mich sofort unter irgendeinem Vorwand vor die Tür gesetzt hätte, jedenfalls nicht ausdrücklich, aber mit ihrem Verhalten legte sie es mir doch nahe: Sie war unablässig beschäftigt, lief herum, putzte, spülte Geschirr und Gläser, ging ans Telefon, machte Ordnung, räumte Spielzeug und Kleidungsstücke auf und Hefte und Stifte – Kinder lassen alles herumliegen, und man kommt ihrem Durcheinander nie hinterher –, und es war nicht mehr wie zu der Zeit, als wir noch zusammenlebten, damals folgte ich ihr von einem Zimmer ins nächste und sprach über irgendein Thema oder erzählte oder fragte, wie Ehemänner ihren Frauen häufig durch die Wohnung folgen, die körperlich aktiver sind und dazu neigen, nie still an einem Ort zu verweilen, vor allem wenn sie Mütter sind. Jetzt fühlte ich mich dazu nicht berechtigt, ich meine, einfach irgendein Zimmer zu betreten, nicht einmal die

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