Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
Vom Netzwerk:
du wütend auf mich sein und mir schaden wollen. Was verborgen bleiben soll, davon erfährt am besten niemand, nicht einmal dein Komplize. Warum, glaubst du, bringen Verbrecher so viele Leute um?‹
    Cristina nahm es gut auf, sie lachte, sie drängte mich nicht weiter. Stattdessen sagte sie nur:
    ›Mach dir keine Sorgen, ich werde Luisa nichts erzählen. Ich hoffe, du hast recht und die Geschichte ist vorbei. Wenn sie mir davon berichtet, vom Ende der Beziehung, dann tue ich, als wüßte ich von nichts. Kann sein, daß sie eine Zeitlang darunter leidet und sich etwas von der Seele reden möchte oder laut darüber nachdenken. Und weißt du, wenn Custardoy etwas zugestoßen sein sollte, höre ich sowieso davon, die Leute reden viel, sie tratschen über alles.‹
    ›Nein, ich glaube, du wirst nichts hören. Er ist jetzt nicht in Madrid, und für ein paar Wochen, wenn nicht mehr, wird ihn niemand zu Gesicht bekommen. Und wenn er wieder da ist, wird er sich schon etwas ausdenken, falls man ihm dann noch anmerkt, daß er mir über den Weg gelaufen ist. Irgendeine Garagentür, ein Poller.‹ Mir wurde bewußt, daß ich schon zuviel gesagt hatte, es ist so einfach, sich zu verplappern, besonders, wenn man angibt, und ein wenig war ich in Angeberstimmung, noch Tage danach: Ein bißchen stolz war ich schon auf meine Heldentat mit der Pistole in der Hand, und es fiel mir nicht schwer, darüber hinwegzugehen, daß es gegenüber einem Unbewaffneten keine Heldentaten geben kann. Unverzeihlich war das, ich wußte es, diese stille Prahlerei, vor allem im Licht dessen, was ich bei meiner Ankunft in London erfahren hatte oder just davor. Und doch war es so und ich konnte nichts dagegen tun, so geht es wohl jedem, der kein gewalttätiger Mensch ist, wenn er es mit Gewalt versucht und damit durchkommt. Ich fügte also hinzu: ›Ich will damit nicht gesagt haben, daß ich ihm etwas angetan hätte oder ihm etwas passiert wäre. Nichts Schlimmes, meine ich.‹ (In unserem kurzen Gespräch hatte ich Cristina nun einige der klassischen Sätze aufgesagt, die dazu raten zu leugnen, nicht zu wissen und stillzuhalten, das gängige Verhalten im Bereich der Spionage, der Verschwörungen oder Verbrechen, im Untergrund und im Geheimen: ›Es ist besser, daß du nichts weißt, dann wirst du beim Verhör die Wahrheit sagen, wenn du sagst, daß du nichts weißt, die Wahrheit ist einfach, sie besitzt mehr Kraft und ist glaubhafter, die Wahrheit überzeugt.‹ Und auch: › Wenn du nur deinen Teil kennst, geht die Sache ihren Gang, auch wenn sie dich kriegen oder du versagst.‹ Und ebenso: ›Dein Nichtwissen wird dich am meisten schützen, frag nicht weiter, frag nicht, es wird deine Rettung sein und dein Schutzbrief.‹ Und auch dies: ›Du weißt Bescheid, ich habe nicht mit dir gesprochen oder dir irgendwas gesagt. Diese Unterhaltung und dieser Anruf haben nicht stattgefunden, und auch diese Worte hast du nicht gehört, weil ich sie nicht ausgesprochen habe. Und obwohl du sie jetzt hörst, sage ich sie nicht.‹ Cristina lachte abermals, vielleicht auch aus Erleichterung darüber, ihre Schwester außer Gefahr zu glauben.
    ›Du klingst sehr mysteriös und ein bißchen bedrohlich‹, antwortete sie halb im Ernst, halb im Scherz. ›Das ist nicht der Jaime, den ich kenne. Vielleicht tut dir London gut und daß du dort allein bist. Aber laß mich eines klarstellen, was du auch getan haben magst, ich bin nicht deine Komplizin. Du brauchst mich also nicht aus dem Verkehr zu ziehen.‹
    Aber das alles geschah Tage später, als ich schon in London war und in gedrückterer Stimmung und schlechteren Umständen. Auf dem Flug freilich stand mir klar vor Augen, daß Luisa mir bis zum letzten Augenblick nichts von sich erzählt hatte. Am Vortag meiner Abreise hatte ich meinen Vater besucht und war kurz im Hotel gewesen, um mich umzuziehen; anschließend war ich zu ihr gefahren, um mich von den Kindern zu verabschieden und nebenbei auch von ihr.
    »Und wann kommst du wieder?« hatte Guillermo mich in anklagendem Ton gefragt, und Marina hatte gebettelt, ich solle sie mit auf die Reise durch die Lüfte nehmen.
    »Bald«, hatte ich gelogen, noch ohne zu wissen, daß ich nicht log. »Diesmal lasse ich ganz wenig Zeit vergehen, ich versprech’s dir.« Und der Kleinen versprach ich, sie bei der nächsten Reise ganz bestimmt mit auf die große Insel zu nehmen, in dem Bewußtsein, daß kleine Kinder kaum etwas von einem Tag auf den nächsten in Erinnerung behalten,

Weitere Kostenlose Bücher