Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
zerstreut dem Murmeln eines in sich ruhenden, mühelosen Regens lauscht, so stetig und heftig, daß er ganz allein die Nacht mit seinen kontinuierlichen Fäden wie flexible metallene Gerten oder wie endlose Lanzen zu erhellen scheint, wenn man den Blick hebt; oder wie einer, der, wenn er einschläft mit einem offenen Auge, das gedämpfte Rauschen des Flusses zu vernehmen meint und sich darauf einstimmt, des Flusses, der ruhig oder lustlos spricht, oder die Unlust erwächst aus der eigenen Müdigkeit und Schläfrigkeit und den eigenen Träumen, obwohl man sehr wach zu sein glaubt; oder einer, der sich ungewollt ansteckt und sich vom belanglosen Summen mitreißen läßt, das aus der Ferne an sein Ohr dringt, über einen Innenhof oder einen Platz oder aber beim Betreten einer Toilette, wenn er einen fröhlichen Mann beim Kämmen vor sich hin summen hört, der sich den Scheitel mit Wasser und äußerster Sorgfalt zieht ( ›Nanná naranniaro nannara nanniaro‹, und dann kann man nur noch fortfahren und den Ohrwurm mit Bedeutung und Text versehen, wenn man sie kennt: ›For I’m a poor cowboy and I know I’ve done wrong‹ . ›Denn ich bin ein armer Cowboy und weiß, daß ich Unrecht getan habe‹, sagt die Zeile; oder ›daß ich falsch gehandelt habe‹, wenn man will.
So hätte Luisa mir zugehört, zerstreut, wenn wir den kurzen Plausch gehalten hätten, den sie im Begriff gewesen war, mir vorzuschlagen. Ich hatte mich bereits von den Kindern verabschiedet, die beiden lagen in ihren Betten, ich war hinausgegangen, als sie am Einschlafen waren, ganz schliefen sie noch nicht. Ich hatte beide Türen angelehnt gelassen und zu Luisa gesagt, die draußen auf dem Gang auf mich wartete:
»Also, ich gehe dann. Morgen fliege ich.« Dann hatte ich sie sanft am Kinn gefaßt, um sie im Profil sehen zu können, und hinzugefügt: »Das Auge ist fast verheilt. Ich hoffe, du paßt jetzt besser auf.« Der Schlag war ihr kaum noch anzusehen, bis auf eine kleine, gelblich verfärbte Stelle, die niemand bemerkt hätte, der den vorherigen Zustand nicht wahrgenommen hatte.
»Ja, du gehst«, antwortete sie. Und ihr nachdenklicher Tonfall ließ mich denken, daß sie mich vage vermissen könnte, jetzt, da sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen und weniger Ablenkung haben würde. »Wir haben uns nicht viel gesehen, du hast mir fast nichts erzählt, du hast mich da in einer ungünstigen Phase erwischt, lauter feste Verabredungen und so viel zu erledigen, Sachen, die ich nicht absagen oder verschieben konnte, wenn du mir früher gesagt hättest, daß du kommst …«
Es war eine Art Entschuldigung, sie hatte selbst das Gefühl, ein wenig in meiner Schuld zu stehen, nicht allzusehr, es ist normal, daß man sich nach demjenigen richtet, dessen Tage in der Stadt gezählt sind, und sie hatte das nicht getan. Sie wirkte traurig und abwesend und so, als hätte sie böse Vorahnungen oder noch schlimmer, ein böses Vorwissen. Gelassen in ihrer Niedergeschlagenheit, wie jemand, der das Handtuch schon geworfen hat, noch bevor er die Schläge bekommt, wie jemand, der schon weiß. Sie mußte überzeugt sein, daß mit Custardoy etwas seltsam war, oder vielleicht nannte sie ihn Esteban; er verreiste zwar gelegentlich und verbrachte Tage oder Wochen damit, an irgendeinem Ort Gemälde zu betrachten und zu studieren, aber ein so plötzlicher Aufbruch ohne sich verabschieden und sich sehen zu können, das war nicht normal, und auch nicht ein so langes Schweigen danach. Befriedigt malte ich mir aus, daß er meine Instruktionen peinlich genau befolgte oder sie womöglich gar übererfüllte: Ja, es konnte ohne weiteres sein, daß er sie seit seiner ersten Ankündigung überhaupt nicht mehr angerufen hatte, seit seiner angeblichen Ankunft an dem beliebigen Ort, den er ihr genannt hatte. Er konnte ihr auch erzählt haben, er sei in Baltimore, ohne Madrid überhaupt verlassen haben. Mir war das egal, solange er sich nur daran hielt und sich nie wieder blicken ließ.
»Wie geht es dir denn?« fragte ich sie. »Du klingst ein wenig bedrückt, ist dir in den letzten Tagen irgend etwas passiert?«
»Nein, gar nicht«, antwortete sie, und ihr Haar bewegte sich mit, als sie den Kopf schüttelte. »Eine kleine Enttäuschung, nicht so wichtig. Ich werde schon darüber hinwegkommen.«
»Kann ich dir irgendwie helfen? Ist es wegen jemandem, den ich kenne?«
»Nein. Nein, überhaupt nicht. Es geht um jemanden, den du nicht kennst, jemand Neuen. Und er kann auch nichts
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