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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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mich, wie lange die junge Pérez Nuix tun würde, als hätte sie nichts bemerkt, und warum sie das tat, es war schon nicht mehr zu verbergen. Und dann kam mir zum ersten Mal an diesem Abend – zum ersten Mal überhaupt – der Gedanke, daß sie mich nicht nur nicht verwarf, sondern daß sie mich ohne Worte und ohne mich zu berühren, ohne mich auch nur anzusehen – oder sie sah mich nur direkt an, wenn sie mit mir sprach, als gäbe es hier kein anderes Sehen als das des erklärenden, neutralen Sprechens – wissen ließ, daß geschehen konnte, was am Ende geschah, ziemlich viel später und als es nicht zu erwarten war, trotz unserer drängenden Nähe in meinem Bett, das nicht sehr breit war: die Öffnung der Seide oder des Nylons als Gleichnis, als Verheißung oder Ankündigung, ihre zunehmende Länge und Ausweitung, die Tatsache, daß sie sie nicht aufgehalten oder Abhilfe geschaffen hatte, indem sie ins Bad ging und sich die Strümpfe auszog oder sie sogar wechselte (ich kenne Frauen, die immer ein Ersatzpaar in der Handtasche haben, Luisa ist eine davon), daß sie die Laufmasche hatte wachsen und ein gut Teil von ihrem Schenkel entblößen lassen und bald, möglicherweise, vom vorderen Teil des Unterschenkels, von dem ich nie gewußt habe, wie er heißt oder ob er einen Namen hat, vielleicht Fessel, vielleicht Schienbein, keiner paßt gut zu ihm; obwohl diesen Bereich die Stiefel verdeckten, die sich zuvor jedoch ebenfalls flüchtig geöffnet hatten, an ihren Reißverschlüssen, kaum daß ihre Besitzerin durchnäßt hereinkommen war und sich hingesetzt hatte; ja, die Laufmasche im Strumpf als zahnloser Reißverschluß, unzivilisiert und autonom und unkontrollierbar, mit dem brutalen Anklang dessen, was man in Wirklichkeit zerreißt, nur daß es ein Zerreißen war, an dem weder meine Hand noch die eines anderen beteiligt war, das Gewebe teilte sich von selbst, und dennoch blieb es am Bein kleben, bedeckte und deckte zugleich auf und markierte den Kontrast, das Fleisch ohne Schleier nahm in beide Richtungen zu, nach unten und nach oben, auf das weiche Knie hin und weiter den Oberschenkel hoch, und fast alle Männer wissen, was sich am oberen Ende eines weiblichen Oberschenkels verbirgt oder öffnet. (Ich sollte es später ungewollt in der Toilette einer Diskothek erkennen – eine dunkle Spitze –, wo man mir unverfroren sagen würde: ›You come and see‹ oder ›Kommen Sie doch nachsehen‹.)
    Ich fühlte mich von leichter Scham erfaßt, fast gehemmt, als mir klar wurde, daß mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, als ich sie dachte. Sie waren völlig unangebracht, sie hatten mich relativ unangekündigt überfallen, und das Schlimme ist, daß ein Gedanke, wenn er uns erst einmal in den Sinn kommt, unmöglich nicht gedacht worden sein kann, es ist sehr mühsam, ihn auszutreiben oder zu löschen, egal, um was es sich handelt: Wer sich eine Rache ausdenkt, versucht wahrscheinlich auch, sie durchzuführen, und wenn er aus Kleinmut oder aus Abhängigkeit nicht kann oder durch widrige Umstände lange Zeit warten muß, dann wird er ganz sicher mit ihr leben, und sie wird ihm mit ihrem nächtlichen Herzschlag den Halbschlaf verbittern; wenn ein feindseliges Gefühl gegenüber jemandem auftaucht, dann wäre es seltsam, wenn es sich nicht in Intrigen und Verleumdungen und böswilligen Handlungen manifestierte, die auf Schaden aus sind, oder im Hinterhalt bliebe, in der Etappe, und Haß für das ausgedehnte Morgen verströmte; wenn die Versuchung auftaucht, eine Liebeseroberung zu machen, dann wird der Eroberer normalerweise Hand ans Werk legen, mit unendlicher Geduld und List, wenn es sein muß, aber auch wenn er sich nicht traut, wird er nicht in der Lage sein, den Plan zu verwerfen, bis zu dem fernen Tag, da er der mangelnden konkreten Ergebnisse und seiner nur theoretischen oder zukunftsgerichteten, das heißt imaginären Tätigkeit überdrüssig wird und sich die Nebelschwaden auflösen, die sein trübes Erwachen bedrücken; wenn das, was sich auftut, die Möglichkeit ist, jemanden umzubringen – oder ihn umbringen zu lassen, das kommt häufiger vor –, dann wird man schließlich zumindest einmal die Tarife der Auftragskiller in Erfahrung bringen und sich sagen, daß sie immer da sein werden und wenn nicht sie, so ihre Söhne, so daß man auf sie zurückgreifen kann, wenn das Zögern ein Ende findet und die vorweggenommene Reue; und wenn es sich um ein plötzliches sexuelles Begehren handelt, das so unerwartet

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