Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
ist wie das in den Träumen und womöglich ebenso unfreiwillig, dann wird es schwierig sein, es nicht in jedem Augenblick zu empfinden, solange es nicht befriedigt wird und die Person, die es entzündet, sich uns noch immer zeigt, obwohl man nicht bereit ist, den kleinsten Schritt zu tun, um es zu verwirklichen, und auch nicht glaubt, daß das noch irgendwann denkbar wäre in dem Leben, das vor einem liegt. Was hinter einem liegt, zählt nicht mehr für die Sehnsucht oder die Phantasien, nicht einmal für die Habgier. Auch nicht für die Klage. Für Spekulationen dagegen wohl.
Als ich mich bei Tupra daran erinnerte, in seinem bequemen Salon, der zu einem an Versöhnlichkeit grenzenden Vertrauen einlud, fragte ich mich, ob ich die Laufmasche und die Schenkel von Pérez Nuix an jenem Abend nicht mit dem gleichen argwöhnischen, unkontrollierten Blick betrachtet hatte wie Sophia Loren die weiße, über der Tischdecke eines Restaurants schwebende Brust von Jayne Mansfield, nur mit Bewunderung und Begehren anstelle von Neid und Mißtrauen. In diesem Fall hätte sie es gemerkt, und das ziemlich rasch (solche Blicke alarmieren den Beobachteten). Ich schenkte mir mein Glas voll, und die junge Frau hielt mir das ihre ein Stück weit entgegen, ich konnte es ihr unmöglich nicht füllen, ohne bevormundend zu erscheinen oder wie einer, der mit seinem Wein geizt, wie häßlich war beides; und so war sie schon beim dritten Glas, sie nahm nur einen maßvollen Schluck, wenigstens aß sie ein paar Oliven und einen Kartoffelchip. Ich befand, daß meine Gedanken eitel und idiotisch gewesen waren, war jedoch auch überzeugt, daß ich richtig lag, manchmal trifft man auch mit etwas Idiotischem ins Schwarze. ›Es kann sein‹, dachte ich, ›es kann sein, daß sie ihrem Riß freien Lauf läßt, um mir einen Weg spontaner Wollust zu zeigen und mich zu führen, aber Vorsicht: Sie wird mich um einen Gefallen bitten, sie hat noch nichts Genaueres gesagt, wir sind noch immer in der Phase, in der sie mich nicht verstimmen darf und es ihr ratsam erscheinen wird, mir etwas anzubieten, vielleicht auch zu geben, obwohl es meinerseits in dieser Hinsicht keine Forderung gegeben hat, auch keine Andeutung, und das wird mindestens so lange andauern, bis ich ›Ja‹ oder ›Nein‹ sage oder sogar »Ich werde sehen, was ich tun kann, ich werde es versuchen« oder »Das und das will ich dafür«. Und es wäre normal, wenn diese Phase noch länger dauern würde, mehrere Tage lang, bis ich wirklich mit unumstößlichen Worten oder Tatsachen meine Schuldigkeit getan hätte, über das Versprechen oder die Ankündigung oder die halboffene Möglichkeit eines »Laß mich nachdenken« oder eines »Wir werden sehen« oder eines »Kommt drauf an« hinaus. Aber sie hat ihre Bitte noch nicht formuliert, nicht ganz, und so ist es noch nicht an mir, mich zu äußern, zu gewähren oder zu verweigern, die Sache in die Länge zu ziehen, mich bitten zu lassen oder mich ambivalent zu verhalten.‹
»Wie auch immer«, fuhr die junge Frau dann fort, in der Hand eine weitere meiner Karelias-Zigaretten vom Peloponnes, »ist ein Bereich erst einmal erweitert, dann ist es sehr schwierig, ihn wieder einzufrieden, vor allem, wenn es keinen wahren Willen dazu gibt. Was willst du, daß ich sage.« Ja, Pérez Nuix sprach beide Sprachen sehr gut (›einfrieden‹ ist nicht so häufig), aber von Zeit zu Zeit entschlüpften ihr seltsame Anglizismen, wenn sie die meine benutzte oder besser die von uns beiden. »Man öffnet die Tür einen Spalt, und wenn draußen ein Sturm tobt, dann kann man sie nicht mehr schließen. Was wächst, ist nicht bereit, wieder abzunehmen, sondern muß sich ausweiten, und fast niemand verzichtet auf die Einnahmen, die er sich holen kann, schon gar nicht, wenn er bereits die Erfahrung gemacht hat, sie einzustreichen, und an sie gewöhnt ist. Die Feldagenten waren in der tatenlosen Phase, nennen wir sie so, obwohl das nicht sehr genau ist, Pioniere darin, externe Aufträge anzunehmen, und glaub ja nicht, daß man sie wenigstens jetzt, da wieder volle Auslastung herrscht, mit sehr hohen Gehältern entschädigt, die meisten verdienen nicht mehr als du und ich, und das ist wenig, oder so empfinden sie es angesichts der Gefahren, in die sie sich bisweilen begeben, und der Zeit, die es sie kostet, um eine winzige Tatsache in Erfahrung zu bringen. Viele haben Familie, viele nehmen Schulden auf, sie verbringen viel Zeit auf Reisen, und nicht alles geht auf fremde
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