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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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man fuhr mich zur internationalen Brücke in Tuy, am Grenzübergang zu Portugal. Das war die langsamste, ich meine die längste Wegstrecke meines Lebens, zu Fuß mit meinem Koffer voller Bücher. Von hinten zielten zwei deutsche Maschinenpistolen auf mich, damit ich nicht vom Weg abwich, vor mir hatte ich bewaffnete portugiesische Zöllner. Und zu meinen Füßen lag der Miño-Fluß. Er kam mir unfaßbar breit vor, vielleicht war er es auch. Du siehst also, so unheilbringend Franco für die Geschichte deines Landes und so vieler Menschen gewesen ist, für meine persönliche Geschichte erwies er sich als Segen. Paradox, nicht wahr? Eine für mich etwas unschöne Paradoxie, das gebe ich zu. Aber es hat auch etwas Schmeichelhaftes, mein Leben der Milde eines Mannes zu verdanken, der sonst fast niemandem welche erwiesen hat. Provinzlerisch und ignorant, wie er war, hatte er wohl eine Schwäche für gebildete Ausländer.« Er lachte kurz über seine eigene kleine Bosheit, ich lachte höflich mit. Dann fügte er hinzu: »Ich war kurz in eurem Krieg, mehr nicht, wie schon gesagt: Ich drücke mich immer noch genau aus. Keiner meiner beiden Aufenthalte hat lang gedauert, und es besteht kein Grund, warum einer meiner Namen im Index der Bücher über den Krieg auftauchen sollte. Was ich dort getan habe, ist nicht sonderlich erzählenswert, und letztlich wirkt es heute lächerlich, darüber zu sprechen. Das gilt auch für meine späteren Aktivitäten, denen aus unserem Krieg, auch wenn einige davon ansehnlicher oder schädlicher und von größerer objektiver Bedeutung gewesen sein mögen. Toby hatte recht mit dem, was er dir vor Jahren sagte: Kriegsereignisse klingen kindisch in Zeiten relativen Friedens, sie ähneln dann unweigerlich einer Lüge, einer Mutmaßung, einer Fabel. Ich glaube, ich habe dir das schon einmal gesagt: Mir selbst erscheinen Dinge, die ich erlebt habe, fiktiv oder fast wunderlich. Ich kann zum Beispiel kaum glauben, daß ich im Sommer 1940 Wächter, Begleiter, Eskorte und sogar Damoklesschwert des Herzogspaars von Windsor gewesen bin. Das war einer meiner ersten ›Sonderaufträge‹, wie es im Who’s Who heißt, weißt du noch? Heute ist das für mich wie ein Traum. Und daß es im Ausland stattgefunden hat, trägt zweifellos dazu bei.«
    Ich erinnerte mich sehr gut daran, wie an jedes Wort, das ich auf seine Aufforderung hin in dem Eintrag gelesen hatte. Und ich verstand auch, wie er es empfand: ›But that was in another country …‹.
    »Das Herzogspaar von Windsor?« fragte ich. »Meinen Sie den ehemaligen König Edward VIII . und seine geschiedene Frau, um derentwillen er abgedankt hat, die häßliche Amerikanerin Wallis Simpson?« Wie fast jeder hatte ich über das angeblich so leidenschaftlich verliebte Paar gelesen und in Zeitschriften und Büchern Fotos der beiden gesehen. Wenn ich mich recht entsinnen konnte, war sie von hagerer Gestalt, trug eine Frisur wie die der Haushälterin in Hitchcocks Rebecca und hatte dünne, blutrote Lippen. Der entgegengesetzte Frauentyp, wie soll ich sagen, zu einer Jayne Mansfield. »Damoklesschwert? Wieso Schwert?«
    »So häßlich war sie gar nicht«, erwiderte Wheeler. »Oder ja, doch, aber in persona hatte sie etwas Beunruhigendes an sich.« Er zögerte kurz. »Nun ja, das kann ich dir wohl erzählen, schließlich war es eine harmlose Mission.« Auf englisch gebrauchte er das Wort ›harmless‹, wörtlich also ›ohne Nachteil‹ oder ›ohne Schaden‹. »Auch wenn das ebenfalls wie ein Märchen klingen mag. Ich hatte den Auftrag, die beiden von Madrid nach Lissabon zu begleiten und sicherzustellen, daß sie dort wie vorgesehen Richtung Bahamas in See stachen. Vielleicht erinnerst du dich daran, daß der Herzog den Krieg dort verbracht hat, als Gouverneur der Inseln, so konnte man ihn der bewaffneten Auseinandersetzung fernhalten, in dem Maß, das ehrenhafterweise möglich war. Beide hatten eine kompromittierende, sagen wir, germanophile Phase hinter sich, tatsächlich ging das Gerücht, sie hätten incognito Hitler besucht, vor 1939 , versteht sich. Das Gerücht entbehrte jeglicher Grundlage, aber man schreckte doch sehr vor dem Gedanken zurück, daß sie den Nazis in die Hände fallen könnten. Daß etwa die Gestapo sie entführen und nach Deutschland verschleppen, aber auch, daß sie desertieren könnten. Also, daß sie die Seiten wechselten. Churchill war überaus mißtrauisch und schloß nicht aus, daß die Deutschen, sollten sie unser Land eines Tages

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