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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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unverzüglich aufgelöst, sondern dessen schwarze Mitglieder erhielten darüber hinaus Anweisungen, deren Tenor ungefähr so lautete: ›Jahrelang haben wir darauf verzichtet, mit Menschen außerhalb unserer Einheit über unsere Arbeit zu sprechen, und über uns und unsere Techniken ist daher nur wenig bekannt. Die Leute mögen das eine oder andere mutmaßen, aber sicher wissen können sie nichts. So sollt ihr das weiter handhaben, so soll es bleiben. Nichts und niemand soll euch dazu verleiten, euch der von uns erfüllten Aufgaben zu rühmen, der Tricks und der Fallen, die wir dem Feind gestellt haben. Wer weiß, wohin das führen würde, wenn wir anfingen, mit unserem Erfindungsreichtum zu prahlen. Also immer schön den Mund halten.‹ ›So mum’s the word‹«, sagte Wheeler wörtlich, und mir war, als hätte ich den Ausdruck auf einem der careless-talk -Plakate gesehen. »›Gerade über Propaganda sollte nicht geredet werden.‹ Zweifellos geschah dies aus Vorsicht«, fuhr Wheeler fort, »aber auch, glaube ich, weil diese Tätigkeit nichts war, worauf sie so richtig stolz sein konnten, und in der Endphase des Kriegs schon gar nicht. Valerie war alles andere als stolz darauf, meiner Treu …« Und das sagte er in seinem Bücherspanisch, ›meiner Treu‹. »Gerade als die Verzweiflung und Verwirrung unter der deutschen Zivilbevölkerung am größten war, trieb man die Leute durch unsere hochstaplerischen Radiosendungen in noch größere Verwirrung und Verzweiflung. Wir warnten zum Beispiel davor, daß im ganzen Land eine Unmenge an Falschgeld in Umlauf sei, was dazu führte, daß sie der eigenen Währung nicht mehr trauten und auch nicht dem Mitbürger, der sie ihnen gab. Das Schlimmste aber kam nach den schonungslosen Bombenangriffen durch Harris und die Amerikaner und auch, als die Truppen bereits auf deutsches Territorium vordrangen, die unseren im Westen und die der Russen im Osten. Während der Luftangriffe stellten die deutschen Radiostationen ihre Sendungen ein, um den Flugzeugen der RAF und der US Air Force keine Orientierung zu bieten. Doch binnen Sekunden, frag mich nicht, wie, gelang es Delmer und seinen Leuten, die Frequenzen zu übernehmen, sie taten in ihrem makellosen Deutsch, als würden die normalen Sendungen fortgesetzt, und verbreiteten verstörende, irreführende, kontraproduktive oder widersprüchliche Nachrichten, um möglichst großen Schaden anzurichten und Chaos zu verbreiten. Anfangs hatte man den Überlebenden in den verwüsteten Städten (Hamburg, Bremen, Köln, Dresden, Leipzig und so viele andere) geraten, sich nicht von der Stelle zu rühren, ihren jeweiligen Platz nicht zu verlassen und dort auf Hilfe zu warten. Delmer ordnete, anscheinend auf Ersuchen von Churchill persönlich, das Gegenteil an, wobei er seinen Befehl selbstverständlich als offizielle Verlautbarung des Reichs tarnte. Seine Sprecher teilten der Bevölkerung mit, in Mittel- und Süddeutschland seien sieben ›bombenfreie‹ Zonen eingerichtet worden, wohin Flüchtlinge sich wenden könnten, und dort würden sie von weiteren feindlichen Luftangriffen verschont bleiben. Es hieß, neutrale Vertreter des Roten Kreuzes in Berlin hätten die Reichsbehörden informiert, daß kein geringerer als Eisenhower besagte sieben Zonen für sicher erklären werde, und die Banken seien bereits dabei, ihre Vermögenswerte dorthin zu verlagern. Natürlich war das alles gelogen, aber es entfaltete eine gewaltige Wirkung. Die Straßen wurden von ganzen Familien überflutet, die in jene imaginären Zonen flohen, mit ihren zerlumpten Kindern, ihren Verwundeten und ihrem wenigen Hab und Gut, auf Karren, in abgehalfterten Bussen, denen ständig das Benzin ausging, sogar in Leichenwagen, in jedem Gefährt, dessen sie habhaft werden konnten, um ihre persönliche Hölle zu verlassen. Das Chaos war komplett. Nicht wenige Straßen wurden durch die vielen Flüchtlinge blockiert, und das erschwerte die gesamten Verteidigungsmaßnahmen der Wehrmacht, die nicht wußte, wie sie den Leuten ausweichen, wohin sie sie stecken oder beiseiteschieben sollte. Was sie mit ihnen tun sollte. Und man muß davon ausgehen, daß jene verschreckten Vertriebenen, die sich allesamt auf die Suche nach den geisterhaften sicheren Zonen machten und die möglicherweise überlebt hätten, wenn sie still in ihren zerbombten Städten geblieben wären, in der Folge durch neue Bomben ums Leben kamen, denn sichere Zonen gab es nirgends in Deutschland oder nur an den Orten, die

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