Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
Rechnung. Man verlangt von ihnen, daß sie ihre Unkosten korrekt abrechnen, aber es gibt Fälle, in denen das nicht möglich ist: Wie soll dir jemand eine Quittung ausstellen, den du bestichst oder den du für einen Hinweis bezahlst, die Verräter, die Spitzel, die Maulwürfe, oder der irgendwelchen Kleinkram für dich erledigt oder dich deckt oder dir ein Versteck besorgt, ganz zu schweigen von den Killern, die man unterwegs anheuert, um sich aus einer Klemme zu befreien oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, oder einer, den du kaufst, damit er dir das Leben schenkt, manchmal bleibt dir nur, denjenigen zu überbieten, der ihm den Auftrag erteilt hat, dich zu töten, das ist wie bei einer Versteigerung. Wie sollen sie dir Rechnungen ausstellen. Die Finanzbürokratie ist irrational, kontraproduktiv, absurd, überhaupt nicht hilfreich, sie ist eine Last, und unter den Agenten grassiert die Unzufriedenheit, sie haben das Gefühl, daß sie mehr tun, als man anerkennt, daß sie sich die Hände schmutzig machen und oft ein Hundeleben führen, um eine Gesellschaft zu schützen, die nicht nur nichts von ihren Opfern und ihren mutigen Taten und gelegentlichen Brutalitäten weiß, sondern per definitionem oder aus Prinzip nicht einmal ihre Namen kennt. Man nimmt sie nicht einmal wahr, wenn sie im Dienst sterben, es ist verboten, ihre Identität bekanntzugeben, das weißt du ja, auch wenn sie schon Jahrzehnte unter der Erde liegen. Und das deprimiert diese Leute, und sie fragen sich tagtäglich, warum sie sich darauf eingelassen haben. Das sind keine Altruisten oder bloße Patrioten, denen das Wissen genügt, daß sie das Äußerste für ihr Land leisten, ohne daß jemand es mitbekommt, weder ihre Freunde noch ihre Nachbarn noch, in den meisten Fällen, ihre Familien. So etwas gehört einer anderen Zeit an oder ist einer altersbedingten Naivität geschuldet, die man rasch hinter sich läßt. Vielleicht waren einige am Anfang so, als sie sich anwerben ließen; aber ich versichere dir, daß diese innere Befriedigung nicht lange dauert, es kommt der Tag, da jeder sich nach Erfolg sehnt und Dankbarkeit braucht, ein Schulterklopfen, ein Lob, er möchte, daß sein Name und seine Verdienste erwähnt werden, und sei es auch nur in einer internen Verlautbarung des Unternehmens, für das er arbeitet. Und da es das nicht gibt, wollen sie wenigstens Geld, ein reichliches Auskommen, irgendeinen Luxus, ein gutes Leben, wenn sie freihaben, ihren Kindern das Beste geben, ihren Frauen oder ihren Männern gute Geschenke machen, sich Geliebte leisten und sichergehen, daß sie von ihnen nicht verlassen werden, wenn jemand häufig nicht da ist, muß er das kompensieren können, und Kompensationen kosten Geld, sich amüsieren ist teuer, Wünsche erfüllen ist teuer, renommieren ist teuer, gefallen ist teuer. Sie wollen, was alle Welt will in einer Welt, in der es keine Disziplin mehr gibt, und so schauen sie nicht so genau hin, von wem die Extrajobs kommen. Und da die Vorgesetzten auch nicht möchten, daß diese Agenten, von denen sie abhängig sind, sich gegen sie stellen, übersehen sie geflissentlich diese fremden Missionen, wenn sie Kenntnis davon erhalten, und später wandeln dann manche auf dem gleichen Weg. Warum, glaubst du, daß du und ich vergleichsweise viel verdienen? Es ist wenig für einen Feldagenten, der unter Umständen für lange Zeit verreisen, gewisse Strapazen erleiden oder sogar seinen Kopf riskieren muß und der vielleicht, wenn es hart auf hart kommt, entscheiden muß, ob er ihn einem anderen abschneidet. Aber es ist viel für das, was wir tun und wo und wie wir es tun, mit nicht sehr strengen Arbeitszeiten und ohne jede Gefahr, mit beträchtlicher Bequemlichkeit, hinter einer Glasscheibe und ohne uns zu schinden.« Ich dachte abermals, daß ihr Vokabular reich war verglichen mit dem in Spanien üblichen, zweifellos das einer an hoher Literatur geschulten Person, nicht an der platten von heute, jeder Ignorant veröffentlicht einen Roman und wird dafür gerühmt: Meine Landsleute wüßten gegenwärtig kaum solche Wörter zu gebrauchen wie ›grassieren‹, ›reichliches Auskommen‹, ›wandeln‹, ›sich schinden‹. Nie zuvor hatte ich Pérez Nuix so viel und so lange reden hören, es war, als würde ich sie noch einmal kennenlernen, ein zweiter, ebenso neuer Eindruck wie der erste. Sie hielt einen Augenblick inne, trank einen weiteren maßvollen Schluck und schloß: »Wieso, glaubst du, lebt Bertie so gut und hat so
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