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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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möblierte Apartment zu räumen und vor meiner endgültigen Abreise alles in Ordnung zu bringen, die jetzt in jedem Fall möglichst schnell vonstatten gehen sollte, in Madrid hatte ich mich um einiges zu kümmern: die Wohnung, die Möbel, die Bücher, einige Gemälde – die Kopie der Verkündigung –, meine betroffenen Kinder, ein bescheidenes oder nicht ganz so bescheidenes Erbe; und ich mußte anfangen, mich zu erinnern. Nicht nur allein, sondern auch in Gesellschaft der anderen.
    Mit Tupra gab es nichts mehr in Ordnung zu bringen, mit ihm war am Tag nach dem Sonntag bei Wheeler alles geklärt, ja, fast ausgeräumt worden, in seinem Büro in dem namenlosen Gebäude (es ist anzunehmen, daß es immer noch keinen hat). Wie Beryl mir angekündigt hatte – oder wer auch immer sich geweigert hatte, mir mitzuteilen, ob sie das war oder nicht –, war Tupra an dem Montag, als ich ankam, bereits im Büro, er war von seiner Reise oder wochenendlichen Abwesenheit zurückgekehrt. Unser Gespräch nahm einen sehr kurzen Verlauf, unter anderem weil es sich als Wiederholung erwies, ich will sagen, wir hatten es schon einmal geführt, vor so langer Zeit, daß ich ihn damals noch mit Mr. Tupra ansprach. Kaum hatte ich das Gebäude betreten, ging ich schnurstracks zu seinem Büro, ich sagte lediglich Rendel und der jungen Pérez Nuix guten Tag, als ich ihnen begegnete, Mulryan sah ich nicht, vielleicht war er mit ihm eingeschlossen. Dann klopfte ich.
    ›Ja, wer ist da?‹ fragte Tupra von drinnen.
    Und ich erwiderte absurderweise:
    ›Ich bin’s‹, ohne meinen Namen zu nennen, als gehörte ich zu denjenigen, die nie daran denken, daß ›ich‹ niemals jemand ist, und auch alle, die sicher sind, daß sie die Gedanken der gesuchten Person sehr oder ziemlich beschäftigen, zu denjenigen, die keinen Zweifel haben, daß sie ohne weiteres – wer sonst – beim ersten Wort und im ersten Augenblick erkannt werden. Ich vermute, ich verwechselte meinen Standpunkt mit dem seinen, manchmal halten wir unsere Dringlichkeit für die aller: Seit vielen Stunden wartete ich ungeduldig darauf, ihn zu sehen und Rechenschaft von ihm zu fordern, ja, ihm die Stirn zu bieten. Tupra hingegen verspürte wohl nicht die geringste Ungeduld, wahrscheinlich war ich nur eine Angelegenheit oder ein Element unter vielen, ein Untergebener, der nach zwei Wochen in seinem Herkunftsland wieder den Dienst antrat, ich glaube, häufig vergaß er, daß ich kein Engländer war. Als ich nicht sofort Antwort erhielt und mir meine Naivität oder Anmaßung bewußt wurde, fügte ich hinzu: ›Ich bin’s, Bertram. Jack.‹ Bis zum Schluß nahm ich es auf mich, einen Namen zu verwenden, der nicht der meine war, das war noch das Geringste, was ich hinnahm, während ich gegen Bezahlung zuhörte und aufmerksam war und interpretierte und erzählte. Aber wenigstens nannte ich ihn diesmal nicht Bertie.
    ›Herein, Jack‹, antwortete er.
    Ich öffnete also die Tür und steckte den Kopf hinein. Er saß hinter seinem Schreibtisch und machte sich Notizen oder schrieb etwas in irgendwelche Unterlagen. Tatsächlich hob er nicht den Blick, als ich eintrat.
    ›Bertram‹, sagte ich, doch er unterbrach mich:
    ›Einen Moment, Jack, laß mich das hier zu Ende bringen.‹ Ich wartete eine Minute, oder waren es zwei oder vielleicht drei, genug jedenfalls, um vorherzusehen, daß geschehen würde, was dann geschah. Ich nahm in dem Sessel gegenüber von ihm Platz, zog eine Zigarette hervor und steckte sie an. Er griff automatisch nach seinen Rameses II , der pharaonischen roten Packung auf dem Tisch. Theoretisch war hier das Rauchen wie in jedem öffentlichem Gebäude untersagt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie jemand Tupra daran hätte hindern sollen, Rauch ein- und auszuatmen, und auch nicht, wie sich jemand darüber beschwerte. Irgendeinen Vorteil mußte es haben, daß das Gebäude keinen Namen hatte und ebensowenig unsere Gruppe, daß es sie fast nicht gab, mehr oder weniger wie die für schwarze Propaganda beim PWE , die während des Kriegs Delmer und Jefferys unterstanden hatte. Endlich war er mit seinen Notizen fertig, und dann zog er eine seiner kostbaren Zigaretten heraus und steckte sie sich an. ›Sag, Jack, wie ist es dir ergangen.‹ In seinem Tonfall war nichts Auffälliges, nicht einmal ein fragender Unterton, so als interessierte er sich routinemäßig für einen simplen Auftrag, den er mir am Vortag erteilt hätte. ›Man hat mir zu Hause ausgerichtet, du hättest am

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