Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
helfen.‹
Ich spielte dasselbe Spiel wie er, ich griff auf eine annehmbare Ausrede zurück, ich zog es vor, keine Konfrontation einzugehen, nicht zu insistieren, schließlich würde er für mich schon sehr bald nur noch Vergangenheit sein, stumme Materie oder vielleicht Traum, so wie ich für ihn. Aber ich bin sicher, daß er auch den wahren Grund meines Ausstiegs begriff. Er muß ihm lächerlich vorgekommen sein. Aber er ließ sich das nicht anmerken.
›Wie du willst‹, sagte er kühl. ›Das mußt du wissen.‹
›Wenn dir daran gelegen ist, kann ich dieser Tage noch kommen, bis ich weg bin‹, sagte ich noch.
›Gut‹, antwortete er. ›Dann bleibt nichts halb erledigt liegen. Aber es muß auch nicht sein. Mach es so, wie es dir lieber ist. Ehrlich.‹ In seinem Ton lag nicht direkt Bitterkeit, aber doch etwas Trockenes oder eine Gleichgültigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie nur vorgeschoben war oder ob er sie sich gerade erst zugelegt hatte. In jedem Fall war sie neu. Es war ihm egal, ob ich kam oder nicht.
›Na schön, wir werden sehen. Wenn ich kann, komme ich noch ein paar Mal. Wobei ich einiges an Vorbereitungen zu treffen habe.‹
›Mhm. Noch etwas, Jack?‹, wiederholte er und nahm den Füllfederhalter, als schickte er sich an, mit seinen Notizen fortzufahren.
Und diesmal antwortete auch ich ihm dasselbe wie beim vorigen Mal:
›Weiter nichts, Mr. Tupra‹. So nannte ich ihn.
Ich stand auf und ging zur Tür, doch als ich gerade die Klinke herunterdrücken wollte, hielt seine Stimme mich zurück:
›Eines würde mich noch interessieren, Mr. Deza.‹ Als er mich ebenfalls so ansprach, wurde mir klar, daß mein Gebrauch der Höflichkeitsform ihn amüsiert hatte, auf die ich zur Unzeit zurückgekommen war, um ihm Lebwohl zu sagen. Ich drehte mich um, und mir war, als sähe ich das Ende eines Lächelns, einen Schatten davon, auf seinen weichen und fleischigen, leicht afrikanischen oder eher Hindu- oder slawischen Lippen, oder waren es die eines Sioux. ›Hast du die Sache in Madrid in Ordnung gebracht? Hast du dich um diesen Typen von deiner Frau gekümmert? Ihn von der Bildfläche verschwinden lassen?‹
Ich hielt einen Augenblick inne. Dachte nach.
›Ich glaube ja‹, antwortete ich.
Jetzt lächelte er doch offen und wedelte mit dem Füller, als wollte er mich zurechtweisen:
›Vorsicht, Jack. Wenn du das nur glaubst, dann heißt das, daß du es nicht getan hast.‹
Ich ließ mich nicht noch einmal in dem Gebäude blicken, das war also das letzte Mal, daß ich ihn sah. Aber ich denke hier in Madrid öfter an ihn, als ich es erwartet hätte. Trotz des etwas abrupten Endes, trotz der Enttäuschung, die ich ihm bereitet haben mag, und derjenigen, die er mir gewiß bereitet hat, habe ich das Gefühl, daß ich noch immer auf ihn zählen könnte. Wenn ich einmal ein Problem haben oder verwirrt sein sollte, in Not oder gar in Gefahr. Daß er jemand ist, den ich jederzeit anrufen und um Rat oder Orientierung bitten könnte, vor allem in den Dingen, in denen ich mir nicht recht zu helfen weiß. Und jetzt, da Wheeler tot ist, ist es merkwürdigerweise so, als wäre Tupra – wer weiß, ob durch seine Verbindung zu Rylands, dem Bruder, bei dem er einst studiert hat – das nächste, was mir noch von ihm bleibt, wenn auch nur in der Erinnerung und in der Vorstellung: seine unerwartete Ablösung oder sein Nachfolger, fast sein Erbe, bei diesem andauernden Prozeß, in dem wir die verlorenen Gestalten unseres Lebens erneuern, bei diesem skandalösen und beharrlichen Bemühen, jeden freien Platz zu besetzen, da wir uns nie damit abfinden, daß der Bestand sich verringert, ohne den wir uns schlecht ertragen und uns kaum halten können; oder diesem Mechanismus, dieser ständigen, universalen Rotation, die alle und damit auch uns erfaßt, und so akzeptieren wir, daß wir Imitate sind und mehr und mehr von ihnen umgeben leben.
Peter starb sechs Monate nach meinem Vater, obwohl er etwa acht Monate älter war als er. Frau Berry rief mich in Madrid an, sie machte es kurz, sie gehörte einer sparsamen Generation an, und möglicherweise war ihr sehr bewußt, daß es sich um ein Auslandsgespräch handelte. Oder vielleicht war es ihr Stil, ihre von äußerster Diskretion geprägte Art. › Sir Peter passed away last night, Jack ‹, sagte sie mit dem unumgänglichen Euphemismus. ›Sir Peter ist gestern abend von uns gegangen, Jack‹, das war alles. Oder nein, sie fügte noch hinzu: ›Ich fand, Sie sollten
Weitere Kostenlose Bücher