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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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durchaus wirst leben können, mit dem, was zu erzählen du zu mir gekommen bist, und zwar, weil es dir schwerfällt, dich für schuldig zu halten, im Unterschied zu ihr.« – ›Ja‹, dachte ich, ›ich werde mir morgen immer sagen können: »O nein, ich wollte das nicht, ich hatte nichts damit zu tun, es geschah ohne meinen Willen, wie in den verschlungenen Nebelwolken des Traums, das gehörte meinem theoretischen oder in Klammern gesetzten Leben an, meiner parallelen und nebelhaften Existenz, die in Wirklichkeit nicht zählt, es geschah nur halb und ohne meine volle Zustimmung, schließlich weiß ich mich nicht und sehe mich nicht, ich horche nicht in mich hinein und erforsche mich nicht, ich schenke mir keine Aufmerksamkeit, weil ich in Wirklichkeit darauf verzichtet habe, mich zu verstehen, dem Bericht der alten Kartei zufolge mit der Überschrift Deza, Jacques . Und außerdem war das in einem anderen Land.« Und dann würde der Richter sagen: »Es liegt kein Anlaß vor, hier liegt kein Rechtsfall vor.«‹ – »Und außerdem bist du aus einem anderen Holz geschnitzt und gehörst einer anderen Zeit an, Jacobo, einer viel unbeschwerteren. Nein, keine Sorge, du bist nicht wie Valerie. Tatsächlich ist niemand mehr so gewesen, in all den Jahren, in denen ich sie nicht gesehen habe. Oder nur in meinen Träumen, hin und wieder.« ›Gib mir deine Hand und laß uns spazierengehen. Durch diese Felder meines Heimatlandes …‹ Wheeler nahm die Hand von den Augen und sah mich überrascht oder aufgeschreckt an, als käme er gerade aus einem langen Tagtraum. Oder vielleicht lag es daran, daß er die Augen weit aufgerissen hatte, als sähe er die Welt zum ersten Mal, mit einem so undurchdringlichen Blick wie Babys, die erst wenige Wochen oder Tage alt sind und diesen neuen Ort beobachten, nehme ich an, an den sie geworfen wurden, und gleichzeitig versuchen, unsere Gewohnheiten zu entschlüsseln und herauszufinden, welche die ihren sein werden. Ich sah ihn sehr müde und sehr blaß, auf einmal fürchtete ich um seine Gesundheit. Die Regung überkam mich, ihm die Hand auf die Schulter zu legen wie Tage zuvor meinem Vater. Sein Blick fiel auf die eingelegten Oliven, und er nahm und aß zwei auf einmal. Dann trank er noch ein wenig Sherry, und sein Gesicht bekam wieder Farbe, vielleicht war sein Kreislauf kurz eingebrochen. Ich beruhigte mich vollends, als er weitersprach und ich einen Wechsel im Tonfall hörte, und ich begriff, daß die Erinnerung, die Erzählung an ihr Ende gelangt war: »Komm, frag Mrs. Berry, ob nicht Zeit zum Mittagessen ist«, bat er. »Ich weiß nicht, warum sie uns nicht ruft, sie hat doch schon vor einer Weile aufgehört zu spielen.«


    I ch lebe immer noch allein, aber nicht mehr in einem anderen Land, sondern wieder in Madrid. Oder vielleicht lebe ich halballein, wenn man das so sagen kann. Ich glaube, ich bin mittlerweile ungefähr so lange zurück, wie ich in London gelebt habe, bei meinem zweiten Aufenthalt in England, der betäubender gewesen ist als der erste, aber mich weniger verändert hat, weil ich bereits in einem Alter war, in dem man sich kaum noch verändert, man kann sich fast nur noch dessen vergewissern, was man seit jeher im Blut hatte, und es bestätigen. Ich bin jetzt noch etwas älter. Mein Vater und Sir Peter Wheeler sind tot, ersterer starb nur eine Woche nach jenem letzten, nicht so sehr aus der Unendlichkeit wie aus der Vergangenheit verbannten Sonntag in Oxford. In der Tat hat sein Tod die Rückkehr in die Stadt meiner Geburt beschleunigt, ich wollte mit seinen Enkeln und meinen Geschwistern zusammensein und dem Begräbnis beiwohnen. In dem Grab, in dem meine Mutter liegt, war noch ein Platz für ihn frei. Nun wird dort niemand mehr unterkommen. Meine Schwester überbrachte mir die Nachricht, sie rief mich in London an und sagte: ›Papa ist gestorben. Sein Herz hat vor einer halben Stunde aufgehört zu schlagen. Du weißt ja, es war in einem ziemlich schlechten Zustand, aber wir haben trotzdem nicht damit gerechnet. Noch gestern habe ich mit ihm geredet. Es war alles wie immer, er hat nach dir gefragt, allerdings in der Überzeugung, du würdest weiterhin in Oxford leben und dort unterrichten. Du kommst doch, oder?‹ Und ich sagte ja, ich würde sofort aufbrechen. Ich flog also nach Madrid, tröstete und wurde getröstet, sah Luisa nur auf der Beerdigung, und dort umarmte sie mich ebenfalls zum Trost, und dann kehrte ich nochmals nach London zurück, um das naiv

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