Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
Vom Netzwerk:
komme von Giovanni, erklärte sie mir didaktisch und freundlich, falls ich das nicht erkannt haben sollte. Man hatte erst in jüngerer Zeit begonnen, von seinen Tätigkeiten zu hören, er war mit Sicherheit ein Mann mit Geschick: Er hatte rasch Geld gemacht – oder es schon mitgebracht – und relativ wichtige Freundschaften geschlossen, und wenn er kriminellen Tätigkeiten nachging, was wahrscheinlich war, so sorgte er dafür, daß sein illegales Tun durch vermeintlich saubere Geschäfte verkleidet oder verdeckt wurde und daß er bei seinen mutmaßlichen, eher drastischen oder brutalen Aktionen keine Beweise oder Indizien hinterließ. Es lag nichts gegen ihn vor oder sie hatte nichts in der Hand, mit dem sie etwa hätte versuchen können, ohne weitere Umschweife über den direkten Erlaß der väterlichen Schulden zu verhandeln. Und damit blieb ihr nur noch ich. Vanni Incompara würde von der Gruppe geprüft, analysiert, gedeutet werden, und ich würde gemeinsam mit Tupra an der Sache arbeiten. Ihres Wissens handelte es sich um einen Auftrag von Dritten, von irgendeiner privaten Privatperson, die sicher überlegte, ob sie Geschäfte mit ihm machen sollte und sich gerne schützen und mehr darüber wissen wollte, inwieweit man ihm vertrauen und inwieweit man sich in ihm täuschen konnte, inwiefern er zuverlässig war und inwiefern rachsüchtig oder geduldig oder gefährlich oder entschlossen, solche Sachen, die üblichen. Nebenbei wollte Incompara, falls sein voraussichtliches Treffen mit Tupra ihm Gelegenheit dazu bot, mit diesem in Kontakt kommen oder sogar ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen, denn er wußte, daß Tupra in fast allen Bereichen ausgezeichnete Beziehungen unterhielt, ein ergiebiger Zugang zu einer ganzen Reihe von vermögenden Leuten und Berühmtheiten. Worum sie mich bitten wolle, sei genau betrachtet nicht viel, sagte Pérez Nuix. Ein riesiger Gefallen für sie, für mich aber keine so große Anstrengung, behauptete sie noch einmal trotz meiner vorherigen Proteste, jetzt, da sie es mir erklärte. Ich sollte Incompara lediglich im Rahmen meiner Möglichkeiten und meines Ermessens helfen, die Prüfung mit einem Gut oder einem Befriedigend zu bestehen; ich sollte eine vorteilhafte Meinung über seine Vertrauenswürdigkeit abgeben, darüber, daß er für seine Geschäftspartner und Verbündeten kein Risiko berge und ihnen nicht mit Ressentiment begegne, über seine Fähigkeit, Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu überwinden, und über seinen persönlichen Mut; ich sollte aber auch nicht übertreiben und mich nicht zu sehr von dem entfernen, was Tupra in ihm sehen oder meiner Ansicht nach wahrnehmen mochte (er pflegte sich in unserer Gegenwart nicht viel zu äußern, sondern fragte uns, stachelte uns an, und so verstanden wir, wohin er uns führte und welche Richtung er nahm); ich sollte Nuancen und Schattierungen einführen, was mir leichtfallen würde, damit unser Chef sich nicht mit einem einseitigen Bild aus einem einzigen Farbton konfrontiert sähe, dem er aus Prinzip mißtrauen würde und weil es zu ungetrübt wäre; ich sollte ihm in keinem Fall schaden. Und wenn ich womöglich die leiseste Spur von Affinität oder Sympathie zwischen den beiden Männern bemerkte, sollte ich diese später fördern und gutheißen, ebenfalls ohne zu insistieren, diskret und sogar gleichgültig; nur ein ruhiges Echo, ein Rauschen, ein Gemurmel. (›Ein ruhiges und geduldiges oder lustloses und gedämpftes Gemurmel von Worten‹, dachte ich, ›die sanft oder matt dahingleiten, ohne das Hindernis der Wachsamkeit oder Heftigkeit, und die daher passiv oder wie ein Geschenk aufgenommen werden und als etwas erscheinen, das nicht zählt noch Mühe kostet noch Nutzen bringt. Wie es die Flüsse mit sich führen und es ihnen entsteigt in der Nacht des Fiebers, wenn es sich gelegt hat; und das ist so eine Zeit, in der alles geglaubt werden kann, sogar das Unwahrscheinlichste und Unsinnigste und sogar ein Blutfleck, den wir entfernen, auch wenn er nicht existiert hat, so, wie man den Büchern glaubt, die in dieser Zeit zu einem sprechen, zur Müdigkeit, zum Schlafwandeln, zum Fieber, zu den Träumen, obwohl man sehr wach ist oder sich dafür hält, und uns überzeugen von was sie wollen, sogar davon, daß sie ein Verbindungsfaden zwischen Lebenden und Toten sind, sie in uns und wir in ihnen, und daß sie uns verstehen.‹ Und dann erinnerte ich mich an die ungefähren Worte Tupras während des kalten Abendessens bei

Weitere Kostenlose Bücher